Es ist ein Spiel

Inspiriert von einem Besuch in der Kunsthalle Mannheim, entstand diese Kurzgeschichte …

Sie müssen wissen, ich schreibe nicht nur, ich male auch seit einiger Zeit. Ich male abstrakt, bewundere jedoch alle, die ihre Pinsel so einsetzen als wollten sie Landschaften fotografisch abbilden. Wie hier auf den Bildern einer Ausstellung in der Kunsthalle.
„Aber du wirkst etwas bedrückt.“ Ich höre Jakobs Stimme in meinem Kopf.
Meine Vornamen lauten Rolf, Jakob und Richard. Jakob und Richard waren meine Onkel, die Brüder meines Vaters. Sie sind schon lange verstorben, aber sie reden manchmal mit mir. Sie melden sich meist ungefragt und ich habe mich schon daran gewöhnt.
„Das Grün erschlägt mich“, sage ich.
„Ah, der Malkurs“, meint Jakob.
„Üben, üben,“, Richard zitiert meine Kursleiterin. „Immer wieder Farben mischen. Sehen Sie sich die alten Meister an.“
Seit sechs Monaten besuche ich ihren Kurs
Aber ich bin Rentner und habe keine Zeit fürs Üben, für das Mischen von Farbnuancen. Rentner sitzen entweder beim Arzt oder verbringen ihre Restlebenszeit damit, vergessene Träume verwirklichen zu wollen. Außerdem hasse ich Grün auf Leinwand. Nicht jedes Grün, aber dieses dunkle, fette, satte Grün.
Mein Blick schweift über die Wände des Ausstellungsraumes: detailgetreue Landschaftsbilder verschiedener Künstler, pointierte Abstufungen, filigran gemalte Blätter in dichten Baumkronen. Produkte menschlicher Fotoapparate schleudern mir dieses Grün entgegen. Selbst das großformatige „Birkenstück“ von Ralph Fleck abstrahiert einen grünen Wald, in dem drei Birken stehen.
„Und das hier wirkt auf mich wie ein Urwald, ein Urwald mit Birken.“ Ich zeige auf das Gemälde von Fleck.
„Lass mal die Kirche im Dorf“, höre ich Richard. „Erst stören dich die Landschaftsbilder, jetzt die abstrakten Birken.“
Auch Jakob meldet sich wieder.
„Also nochmals: du wirkst bedrückt, was stört dich denn?“
Ich stutze kurz, fühle in mich hinein, wie ich es immer tue, wenn Jakob und Richard anwesend sind.
„Die Stimmung“, antworte ich, „dieses Grün in fetten, alten Stuckrahmen erdrückt mich. Ich höre nichts und fühle nichts. Ich sehe nur diese Momentaufnahmen von Blättern.“
„Landsacape – Landschaften, heißt die Ausstellung“, sagt Richard.
„Ich hätte sie anders genannt: Einsamkeit.“
„Einsamkeit?“
„Oder Langeweile. Die Künstler schweigen. Was empfinden sie in der Natur, wie säuselt der Wind, wie pocht freudig das Herz beim Geruch von frisch gemähtem Gras?“
„Werde jetzt nicht poetisch“, spottet Jakob.
Ich gehe nicht darauf ein.
„Lebendig geht anders“, murmele ich vor mich hin, „ich sehe nur Grün.“ Leicht genervt schreite ich die Wand entlang.
Gut, ich räume ja ein, seit vorgestern eine Abneigung gegen Grün zu haben, obwohl die Kursleiterin ja Recht hatte. „Da fehlen die Grundlagen“, hallt es noch in mir nach, „immer wieder die Farben mischen, üben, üben.“
Ernsthaft, diese grünen Bilder hier lassen mir nur die Wahl zwischen schön oder nicht schön, lassen mich werten anstatt fühlen.
Unvermittelt zieht es mich zu einem anderen Bild: Heinrich Bürkel malte 1839 die ‚Campagna mit Aquädukt‘.
„Seht mal her“, spreche ich zu meinen Onkeln. “Dieser Schäfer wacht über seine Schafe. Auf dem Esel daneben sitzt eine Frau und hält ihr Kind in den Armen. Eine Szene inmitten einer italienischen Landschaft, filigran, detailgetreu und lebendig.“
Ich trete näher an das Bild. „Schaut, Bürkel übergibt mir eine Geschichte und überlässt mir die Entscheidung über Inhalt und Verlauf. Ich entscheide, ob ich in die Szene eintauche, wann immer ich will und wie ich will. – Wisst ihr, was ich meine? So entsteht für mich eine neue, vorher noch nicht gekannte Realität.“
„Entscheidung ist ein gutes Stichwort“, klingt Richard zu mir. “Oben sind Werke von Anselm Kiefer. Er sagt, der eigentliche Schaffungsprozess sei gar nicht so schwierig. Schwierig sei, zu entscheiden, was man gestalten will. Alles andere läuft dann fast von alleine.“
„Lasst uns hochgehen“, sage ich.
Ich habe nicht oft das Gefühl, begeistert das Zimmer eines alten, durchgeknallten Freundes zu betreten. Mit voller Wucht trifft mich der überdimensionale Willkommensgruß von Anselm Kiefer, und ich bestaune sein riesengroßes Bild eines aus Blei modellierten U-Bootes inmitten einer weißgrauen Berglandschaft.
‚Noah‘, nennt Kiefer das Bild. Da braucht es kein Grün, keine Nachbildungen. Unterschiedliche Materialien wie Holz, Blei, Ölfarbe und Teer benutzt der Künstler, um sich auszutoben. Wie ein Kind, dem man die große Freiheit lässt, zu spielen, voller Lust und Drang. Jedes Werk, das er präsentiert, wirkt einladend und verkörpert für mich die Reduktion von Sachverhalten auf das Wesentliche – wie in einem Gedicht.
Noah baute die Arche, denke ich. Wir bauen U-Boote, um uns zu vernichten.
„Ich glaube nicht, dass Anselm Kiefer eine so eindeutige Aussage machen wollte“, meldet sich Richard wieder. „Er spielt. So wie Du früher als Kind auf dem Klo, als Du selbst Landschaften geschaffen hast.“
„Als ich mit den Fingernägeln die weiße Farbe vom Wasserrohr gekratzt habe? Ja, da entstanden Geschichten, ganz von alleine. Ich musste nichts erfinden.“
„Oder als du in deinem neuen Matrosenanzug Schiffe aus Schlamm gebastelt hast“, warf Jakob ein.
Ja, genau, denke ich. Dieses lustvolle Beginnen, wie befreiend, einfach anfangen und zulassen, was kommt, entlanghangeln an der Lust im Tun, ein Spiel voll Spaß und Kraft, ohne vollendet präsentieren zu wollen. Ich spüre den Impuls, mitzuspielen und mit den Händen ins Bild zu greifen, fühle mich aufs Höchste willkommen, in diesem Spielzimmer der Kunsthalle.
Auf dem Heimweg treffe ich meine Entscheidung.
Mein Atelier ist ungefähr zwei auf drei Meter groß und nennt sich Küche. Die Küche ist nicht immer als solche erkennbar. Manchmal tausche ich auch den PVC Boden aus, weil Acrylfarbe nicht immer dortbleibt, wo ich sie haben will.
Mit zwei großen Tuben stehe ich vor dem Küchentisch und klatsche Farbe auf eine mittelgroße Leinwand. Immer und immer wieder, bis ich beginne, die Farbe großflächig mit beiden Händen zu verteilen.
„Aha – was ist das? Hat das jetzt sein müssen? Schau dich mal an!“ Jakob und Richard sind wieder da. „Ich denke, du magst kein Grün?“
Ich schaue an mir herunter. Die Jeans kann ich wegwerfen. Von den Schenkeln bis zu den Knien sind die Hosenbeine mit grüner Farbe besudelt.
„Scheißegal!“, schnauze ich. “Das ist ein Spiel! Ein Tannenbaum ist nun einmal grün, auch wenn er in der Wüste einzeln und groß aus einem schwarzen U-Boot wächst!“

© Rolf Höge

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X-Komma-Null-Viereinhalb

X-Komma-Null-Viereinhalb

 

„Ich lebe in vollkommener Harmonie und Reichtum, ich bin Millionär, ich bin Millionär.“

Immer wieder plapperte ich den Satz vor mich hin und betrachtete dabei den Mahnbescheid vor mir. In der linken Hand hielt ich den Bestseller über positives Denken, der mir den Weg in die absolute Wunscherfüllung zeigen sollte, und mit der rechten schob ich mir genervt eine Zigarette zwischen die Lippen. Doch der Bescheid vom Amtsgericht verschwand nicht. Er löste sich einfach nicht auf.

Ich beschloss, etwas tiefer in die esoterische Trickkiste zu greifen, eilte zu meinem Schreibtisch und zog ein Blatt Papier aus dem Drucker. Schnell zeichnete ich in der Mitte eine Gerade und teilte das Blatt so in zwei Hälften auf. Die Gerade stellte nun die Linie für die Gegenwart dar, für das Jetzt! Den Mahnbescheid positionierte ich nun links von der Gegenwart und rechts davon einen Euro, der mir als Symbol für das Geld aus der Zukunft dienen sollte. Nun zentrierte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf diese Gegenwartslinie, bewegte den Mahnbescheid langsam auf sie zu und tat das Gleiche mit dem Euro-Stück, bis beide, Mahnbescheid und Euro, genau im Jetzt aufeinander trafen. Geldsorgen und Geldmittel hatten sich damit vereinigt.

Ich nahm noch einen tiefen Zug aus meiner Zigarette, drückte sie im Ascher aus und schob eine CD mit Entspannungsmusik in meinen Player. Dann legte ich mich auf die Couch im Wohnzimmer. Es ging nun darum, mich und meine Gedanken in die notwendige Geldschwingung zu bringen, damit nach dem Gesetz der gleichen Schwingung das Geld auch zu mir finden konnte. Bei leiser Musik konzentrierte ich mich zunächst auf meinen Atem, spürte in meinen Körper hinein und legte dann meine Hände über die Augen, wie ich es bei meiner Reiki-Einweihung gelernt hatte. Danach kam die zweite Handposition aus dem Reiki und die Hände lagen auf der Schläfe. Weiter ging es zum Hinterkopf, hoch zum Scheitelchakra und dann schrittweise hinunter bis zum Wurzelchakra. Überall in meinen Körper ließ ich die universelle Lebensenergie nach dem System von Dr.Usui fließen. Alles war in Fluss, alles floss, ‚penta rei‘ eben.

Fast wäre ich dabei eingeschlafen, doch das schrille Läuten der Türglocke riss mich aus meinen mentalen Schwingungen: der Gerichtsvollzieher. Er hatte sich angemeldet, schriftlich, durch einen Hinweis im Briefkasten, weil er mich am Vortag nicht zuhause angetroffen hatte. Es ging wieder einmal um nicht bezahlte Strafzettel wegen Falschparkens und wenige Minuten später wechselten rund hundert Euro den Besitzer. Ich war stocksauer, hatte ich doch tatsächlich, wie es dieser Josef mit seinem Buch über die richtige Denkweise geschrieben hatte, den ganzen Tag über nur gute Gedanken gedacht. Und dann so etwas: Mahnbescheid, Gerichtsvollzieher, Geld weg!

Der Herr verließ wenig später meine Wohnung,. nicht ohne mir vorher mitzuteilen, er werde noch weitere Eintreibungen gegen mich vornehmen und bezüglich dieser Angelegenheiten nochmals auf mich zukommen.. Ich eilte zum Telefon und wählte direkt durch.

 

Angenehm drang die freundliche Stimme an mein Ohr „Spirituelle Weltauskunft Sektion Deutschland. Mein Name ist Anita Meyerbrand. Was kann ich für Sie tun?“ „Herbeldinger, Guten Tag! Ich brauche eine Auskunft zum bevorstehenden Weltuntergang. Wann genau findet der nun statt?“

„Ihre Kundennummer bitte zunächst, Herr Herbeldinger.. – Und ihr Spezialgebiet.“

„X-komma-null-viereinhalb. Ich bin hunareikiorientiert mit hermetischem Quertouch.“

Ich hörte wie ihre Finger schnell über die Tastatur huschten und sie meine Daten in ihren PC eingab.

„Herr Georg Herbeldinger, richtig?“

„Richtig!“

„Nun, Herr Herbeldinger, zurzeit liegen uns keine gesicherten Erkenntnisse für dieses Jahr vor. Wir haben zwar hier zwei Channelmeldungen, die allerdings etwas auseinander liegen.“

„Was heißt das?“

„Tja, Anfang Juli dieses Jahres könnte der Weltuntergang eintreten. Dafür stehen allerdings noch keine Transportschiffe für unsere Mitglieder bereit. Der Massenselbstmord ist auch noch nicht eingeplant.“

„Und was ist mit der zweiten Channelmeldung?“

„Nach dieser ist mit einem solchen Ereignis erst in ungefähr zehn Jahren zu rechnen. Wie alt sind Sie, Herr Herbeldinger?“

„Fünfzig!“

„Dann gehören Sie zu unserem ausgewählten Kundenkreis und ich könnte Ihnen ein Angebot von ‚Spirituelle Weltauskunft Sektion Deutschland’ unterbreiten, das wir gerade für Kunden Ihrer Altersklasse konzipiert haben. Wenn Sie noch ein paar Minuten Zeit hätten, Herr Herbeldinger?“

Ich sog hörbar die Luft durch die Nasenflügel.

„Ich möchte jetzt kein Sonderangebot. Mir steht das Wasser bis zum Hals.“

Sie schwieg.

„Bei mir häufen sich die Rechnungen und ich muss dringend wissen, ob ich Wege finden muss, diese zu begleichen, oder ob sich das alles erübrigt wegen des Weltunterganges.“

„Unabhängig davon“, versuchte es Anita Meyerbrand weiter, „schätzen wir uns als ‚Spirituelle Weltauskunft Sektion Deutschland’ glücklich, nun auch den Reinkarnationsverein mit Sitz in Köln zu unseren Mitgliedern zählen zu dürfen. Haben Sie davon schon einmal etwas gehört, Herr Herbeldinger?“

„Nein!“

„Nun, Herr Herbeldinger, der Reinkarnationsverein hat sich angeboten, die Verwaltung des Vermögens unserer Einzelmitglieder bis zu deren Wiederkehr, also bis zu ihrer erneuten Inkarnation, zu verwalten.“

„Ich habe kein Vermögen.“

„Wir bieten Ihnen diesen besonderen Service für nur zwei Euro zusätzlich zu Ihrem jetzigen Mitgliedsbeitrag an.“

„Hören Sie…“

„Ja, ich weiß, Herr Herbeldinger, der Weltuntergang.“

„Genau! Können Sie mir da keine ernsthaften Auskünfte geben?“

„Alles, was wir anbieten ist ernsthaft, Herr Herbeldinger.“

„Deshalb rufe ich Sie ja an.“

„Vielleicht probieren Sie es einmal mit einem Medium. Das ist für Sie kostenlos und wird über Ihren Monatsbeitrag abgedeckt. Wir haben zwei Medien, die jederzeit channeln können. Ohne große Ritualsvorbereitungen.“

„Sind das die zwei mit den unterschiedlichen Meldungen?“

„Nein.“

„Ok, dann verbinden Sie mich.“

Es dauerte eine kleine Weile bis sich nun eine ältere Frauenstimme meldete:

„Sie sprechen mit Uritella vom Schwarzwaldverein Seat Luchs. Womit kann ich dienen?“

„Ich benötige eine sichere Channelbotschaft zum Weltuntergang:“

„Wünschen Sie den Kontakt zu einem bestimmten aufgestiegenen Meister oder zum Heiland selbst?“

„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“

„Sollten Sie aber“, säuselte Uritella. “Ich habe hier eine ganze Palette von Meistern, die ich channeln kann. Und soviel Zeit steht mir nun auch nicht gerade zur Verfügung. Ich bin gerade mit meinem Badewasser beschäftigt.“

„Mit Ihrem Badewasser?“

„Ja. Ich habe doch die göttliche Botschaft bekommen, Heilwasser zu verkaufen.“

„Was hat das mit Badewasser zu tun?“

„Nach einer göttlichen Rezeptur muss ich mein Badewasser mit der linken Hand im Uhrzeigersinn umrühren. Dabei fließt die gesamte Heilenergie ins Badewasser.“

„Und das ganze lässt sich verkaufen?“

„Selbstverständlich. Ich fülle mein Badewasser in Flaschen ab. Meine Kunden sind äußerst zufrieden.“

„Das käme für mich wahrscheinlich nicht in Frage. Ich bin hunareikiorientiert. Ich bräuchte Informationen zum Weltuntergang. Kann meine Rechnungen nicht bezahlen.“

„Dann schlage ich Ihnen mal Serephinola vor. Der ist leicht zu channeln, bringt die Dinge auf den Punkt und liegt selten daneben.“

„Gut. Fangen wir an.“

„Alles was ich bräuchte, wäre nochmals Ihre Kundenummer. Und danach möchte ich Sie bitten, kurz die Augen zu schließen.“

„X-komma-null-viereinhalb, Herbeldinger.“

Ich schloss die Augen.

„Nun atmen Sie tief in Ihren Bauchraum und lassen Sie sich von Ihrem Unbewussten ein Symbol für Ihre Frage schenken.“

„Eieruhr!“

Kaum hatte ich ihr das Symbol genannt, hörte ich ein leichtes Seufzen am anderen Ende der Leitung, das nach wenigen Sekunden in immer lauter werdendes Stöhnen und Grunzen überging.

„Alles in Ordnung?“ fragte ich leicht besorgt.

Statt einer Antwort hörte ich nur den markdurchdringenden Schrei:

„Serephinola! Serephinola!“

Dann Stille. Ich wartete ungeduldig. Endlich:

„Herr Herbeldinger“, Uritella klang nun wieder ruhig und vertraut. „Die Sache gestaltet sich etwas schwierig. Seriphinola meint, es gäbe konzentrative Hemmnisse in Bezug auf Ihre Frage, da Sie offensichtlich über keinerlei Astralerfahrungen verfügen.“

„Ich bin hunareikiorientiert. Wir arbeiten fast ausschließlich energetisch.“

„Wir haben Astraltraining im Angebot. Natürlich in abgespeckter Form. Das ganze dauert nur wenige Minuten. Danach dürfte einem Kontakt mit Serephinola nichts mehr im Wege stehen.“

’Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich nun tun soll’, schoss es mir durch den Kopf. ‚Meine Rechnungen! Meine Ziele! Mein Leben überhaupt!’

„Können Sie mich verbinden?“

„Klar doch!“ Und schon klickte es in der Leitung.

„Out-Of-Body-Experience-Odenwald-Liga. Sie sprechen mit Stephan Monroe. Was kann ich für Sie tun.“

„Ich brauche einen Schnellkurs.“

„Basic?“

„Keine Ahnung.“

„Ok, dann wahrscheinlich Basic. Sind Sie schon einmal mit kosmischen Gesetzmäßigkeiten konfrontiert gewesen?“

„Ständig. Ich habe einen hermetischen Quertouch.“

„Ihre Kundennummer, bitte.“

„X-komma-null-viereinhalb.“

„Herr Hebeldinger. Ich darf Sie bitten, sich während des Schnellkurses ganz genau an meine Anweisungen zu halten. Sie haben Erfahrung im Visualisieren?“

„Selbstverständlich.“ antwortete ich sichtlich genervt.

„Dann visualisieren Sie bitte in folgender Abfolge und nach Möglichkeit ziemlich schnell: Sie sitzen in einem Unterseeboot. Zweitens: Sie befinden sich in einem Raumschiff. Drittens: Sie fliegen losgelöst von allem irdischen über den Mount Blanc. Von links nähert sich Ihnen ein brasilianischer Schmetterling. Winken Sie ihm mit der rechten Hand. – Haben Sie’s?“

„Klar doch.“

„Sehr schön. Nun kommen wir zu Ihrer eigenen Kreation. Es geht darum, dass Sie sich kurzfristig aus Ihrem Körper lösen und sich Ihrem eigenen Reiseziel nähern. Wohin möchten Sie reisen?“

„Dazu fällt mir nichts ein.“

„Dachte ich mir schon.“ meinte Stephan. “Das kommt ziemlich oft vor. Vielleicht habe ich da etwas für Sie.“

Ich hörte das Rascheln von Papier durch den Telefonhörer.

„HEBAB Ltd. in Newcastle, Herr Herbeldinger, ist das derzeit effektivste Reisebüro für Astralreisende, das wir zu äußerst günstigen Konditionen für unsere Mitglieder gewinnen konnten. Die Zusammenarbeit mit HEBAB gestaltet sich sehr angenehm.“

„Was kostet mich das?“

„Der Erstkontakt ist für Sie kostenlos.“

„Gut. Verbinden Sie mich.“

„Hello. This is HEBAB Ltd., Newcastle. We are not available at the moment – Wir sind im Moment nicht erreichbar.“

Die Verbindung wurde abrupt unterbrochen.

 

Ich öffnete das Fenster und atmete die frische Abendluft tief in meine Lungen. Gedankenverloren schaute ich ein paar Minuten in die Weiten des Abendhimmels. Dann wandte ich mich vom Fenster ab.

Mein Blick wanderte wieder hin zum Telefon, das mich so stark in seinen Bann zog.

Ich nahm den Hörer erneut ab und wählte

„Psychiatrisches Zentrum für seelische Gesundheit. Guten Abend. Was können wir für Sie tun?“

„Mein Name ist X-komma-null-viereinhalb. Ich brauche frisches Badewasser. Mein Schmetterling sitzt im U-Boot. Wie weit ist es bis zum Mont Blanc? Schicken Sie mir die Rechnung bitte.“

Es tut gut nun hier zu sein. Ich bekomme regelmäßig Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Und jeden zweiten Mittwoch gehe ich vormittags in die Bastelgruppe.

 

(c) Rolf Höge

 

Aus meinem Buch „Freischreiben – manchmal ernst, manchmal heiter“

 

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Frederick und sein Wunsch nach Aufschub

Wenn er mir nur etwas entgegenkommen würde, dachte Frederick. Schließlich habe er es nicht gerade leicht gehabt im Leben. Jeden Tag Kampf  im Büro, in der Familie: sich stets behaupten müssen und immer auf sich alleine gestellt.

Aber ein Blick in diesen kalten Augen und Frederick ahnte, keines seiner Argumente würde ihm helfen.

„Ich habe noch so viel vor. Ich möchte etwas für mich ganz persönlich tun. Bisher habe ich nur gearbeitet und anderen geholfen“, versuchte er es dennoch und wusste, er übertrieb ein wenig. Aber warum auch nicht? Schließlich stand hier alles für ihn auf dem Spiel. „Ich möchte durch die Felder wandern, die Seele baumeln lassen, die frische Luft durch meine Lungen strömen lassen und einfach den Tag genießen.“

Abnehmen wolle er auch, dachte Frederick noch bei sich, sagte es aber nicht laut. Wenn er das überstand, wollte er sich nicht mehr wie ein schnaufendes Walross in den zweiten Stock schleppen müssen.

„Ich würde ein ganz anderer Mensch werden, versprochen. Ich würde mit dem Fahrrad fahren, das Auto stehen lassen. Und das Rauchen würde ich aufgeben – ist ja eh zu teuer.“

Es machte ihn schier wahnsinnig, dass sein Gegenüber nicht reagierte. Keine Gefühlsregung, kein Mitleid waren aus diesem Gesicht zu erkennen.

Frederick hatte die Arbeit über alles gestellt, bis sie ihm über den Kopf gewachsen war. Die Zigaretten brachten ihn über jeden stressreichen Tag. Aber ab jetzt könne er auf Zigaretten verzichten, daran glaubte er sicher.

„Was sagen Sie?“

Das Gegenüber schwieg noch immer.

„Wissen Sie, Sie sollten mir schon ein bisschen entgegenkommen. Wir können ja das Ganze aufschieben und sehen was in der Zwischenzeit passiert, nicht wahr?“ Es war mehr ein Flehen als eine Frage.

„Nein“, sagte der Tod.

© Rolf Höge

 

Ein stinknormaler Tag

Ich habe rasende Kopfschmerzen, als ich aufwache. Meine Lippen sind heiß und aufge­sprungen und ich spüre den Brand im Mund.

Die Nacht, oder besser, die wenigen Stunden, in denen es noch dun­kel war, habe ich auf der Wohnzimmercouch zugebracht. Fürs Bett hat es nicht mehr gereicht nach diesem Rausch.

Ausgeschlafen bin ich nicht. Mein Körper ist müde und erschöpft, aber das Gehirn findet keine Ruhe. Wortfetzen klingen in meinen Oh­ren, Erinnerungen steigen bruchstückhaft auf, wechseln sich ab, ziehen vorbei.  Bilder, Abläufe, Blitzlichter im Kopf: Gedankenflattern, nenne ich das.

Mit der rechten Hand lange ich hinüber zu dem kleinen Glastisch ne­ben der Couch, der immer häufiger als Müll­halde missbraucht wird. Den Rest aus einer Bierflasche schütte ich gie­rig in mich hin­ein.

Irgendwo auf dem Tisch ertaste ich eine Fil­terzigarette. Langsam, mit Rücksicht auf meine Kopfschmerzen, stehe ich auf.

Mir ist speiübel. Kaffee, denke ich, während ich mir die Zigarette an­zün­de.

Aus dem Spülbecken in der Kochnische stiert mich der Abwasch meh­re­re Tage an. Aber mit dem Kopf ist an Abwasch wieder einmal nicht zu denken. Da geht gar nichts!

Zwi­schen ein paar Tellern mit eingetrockne­tem Kartoffelbrei und ver­härteten Nudeln finde ich eine Tasse und spüle sie unter flie­ßen­dem Wasser aus.

Dann setze ich den Kaffee auf. Wenn we­nigstens noch eine Flasche Bier im Hause wäre!

Ich bekomme langsam Magenschmerzen und quäle mich ins Bad. Mir wird sofort schwindelig, als ich mich in die Toilettenschüssel übergebe.

Kalter Schweiß läuft mir über den Nacken. Ich habe Schüttelfrost und zittere wie Espenlaub. Meine Haare glänzen vor Nässe und ich spü­re wieder den altbekannten Druck in der linken Bauchseite un­ter­halb des Rippenbogens.

Während meine flatternden Hände am Waschbecken Halt suchen, zie­he ich mich vor­sichtig hoch.

Rotunterlaufene Augen starren mich aus dem Spiegel an. Ich drehe den Wasserhahn auf, forme meine Hände zu einer Mulde und tau­che das Gesicht in das Wasser, das sich darin sammelt. Es tut gut, wenn die Wangen gekühlt werden!

Weil ich kaum Luft bekomme, atme ich mit geöffnetem Mund, als ich merke, dass sich mein Durchfall wieder meldet. Seit ungefähr zwei Monaten bekomme ich immer häufiger Durch­fall. – Scheiß Le­ber!

Die allmorgendliche Prozedur im Bad dauert fast eine halbe Stunde. Dann schlürfe ich im Wohnzimmer meinen Kaffee, die Tasse mit bei­den Händen fest­hal­tend, zwischen leeren Bierflaschen und auf dem Tisch aus­gedrückten Zigarettenkippen. Mir ist elend heiß!

Ich fange an, aufgeregt in den Taschen mei­ner Jeans zu wühlen. Ges­tern war ich nicht einmal mehr in der Lage, die Hosen auszuzie­hen.

Ich suche nach einer Schmerztablette. Wenn schon kein Bier mehr da ist, dann zumindest eine Schmerztablette. – Ich finde keine!

Doch als ich die Zigarette im Ascher aus­drücken will, sehe ich ne­ben einer zerknüllten Zigarettenpackung etwas Kleines, Rotes liegen: ei­ne X-112.

X-112 ist ein Appetitzügler, den es früher in Tropfenform gab. Heute erhält man die Tropfen nur noch auf Rezept. Die Dragees hin­gegen kann man so kaufen. Ich nehme sie jetzt schon fast zwei Jah­re regelmäßig. Natürlich nicht, weil ich gerne abnehmen möchte, ich habe ja nur noch 57 Kilo, sondern weil sie ganz schön an­turnen.

Man bekommt ein herrliches Kribbeln auf der Kopfhaut und fühlt sich echt gut drauf. Wenn ich ein paar X-112 genommen habe, fan­ge ich an zu reden und zu reden.

Drei bis vier Tabletten, mit einer Cola oder Kaffee genommen, sind ge­ra­de richtig, damit ich fit werde. Und das mehrmals am Tag!

Manchmal könnte ich schreien! Ich komme von dem Zeug nicht mehr los!

Von Fixern wird X-112 manchmal als Ersatz genommen. Sie krat­zen einfach die Lackschicht der Dragees ab, kommen damit an die rei­ne Substanz, lösen diese in Wasser auf und dann wird es gespritzt.

Soll immer noch besser als ein schlechter Schuss sein, hat mir ein Ken­ner gesagt.

Ich schlucke also die einzige Tablette, die ich gefunden habe und trin­ke den restlichen Kaffee aus. Dann ziehe ich meine Stiefel an, ko­misch, dass ich wenigstens die ausgezogen hatte, und verlasse mit drei­ßig Mark, die ich noch besitze, die Wohnung.

Auf der Straße blendet mich die Sonne. Es wird ein heißer Tag wer­den, denke ich. Da wird heute einiges los sein im Park.

Im Park ist ein Kiosk. Da treffen wir uns fast jeden Tag. Wir, das sind fast alle Alkoholiker aus dem Wohngebiet.

Ich glaube, ich bin einer der wenigen von denen, der noch nicht im Knast war und wohl der einzige, der noch seine Arbeit hat. Die möch­te ich auch nicht verlieren. Ich bin froh, dass ich ein paar Tage frei habe, sonst hätte ich mich heute Morgen wieder krankmelden müs­sen, weil ich viel zu spät aufgewacht bin. Und im Betrieb werden die das nicht mehr lange mit­machen.

Aber für den Kiosk ist es noch zu früh. Er öff­net erst mittags und ich brauche j e t z t etwas zu trinken. – Oder zumindest Tabletten.

Ich wohne in der Nähe einer Kaserne. Nicht weit davon ist eine klei­ne Kneipe. ”Zur kleinen Kaserne” heißt sie. Neben Amerikanern ver­keh­ren dort hauptsächlich die Typen aus dem Park. Ich weiß, dass Roland, so heißt der Wirt, um neun Uhr aufmacht. Das ist in ei­ner halben Stunde. Diese Zeit muss ich überbrücken.

Also liegt mein nächster Weg schon fest: die Apotheke ist nur zwei Geh­minuten von meiner Wohnung entfernt.

Dem Apotheker scheint es gleichgültig zu sein, dass ich alle paar Ta­ge X-112 verlange, obwohl ich schmal wie ein Handtuch bin.

Unterwegs geht die übliche Rechnerei los. Dreißig Mark habe ich. Da­von gehen zwanzig weg für die Tabletten und vier Mark für Zi­ga­ret­ten. Mir bleiben also noch sechs Mark. Das reicht gerade für zwei ”Hal­be” Bier, was natür­lich nicht genug ist. Aber wenn der Kiosk heute Mittag öffnet, kann ich bei Anita bestimmt auf Kredit trinken. Sie weiß, dass sie das Geld irgend­wann wiederbekommt. Und ich wer­de bestimmt als erster im Park sein.

Nachdem ich mir in der Apotheke die Tablet­ten besorgt habe, schlucke ich gleich drei davon und gehe dann in Richtung ”Kleine Ka­serne”. Ich komme gerade richtig, als Roland das Lokal auf­schließt.

Das erste Bier trinke ich in zwei großen Schlucken und bestelle gleich das zweite. Dann geht es etwas langsamer. Ein Bier kostet zwei Mark vierzig. Für das dritte Bier fehlen mir also noch eine Mark und zwanzig Pfennige. Und Roland gibt nichts auf Kredit.

Ich schwätze belangloses Zeug mit Roland und nach zwanzig Mi­nu­ten ist mein Bier leer.

Doch ich habe Glück. Roland scheint heute sei­nen gutmütigen Tag zu haben und gibt einen Asbach aus.     Ein Hütchen, wie wir sagen.

Nach dem Hütchen will ich gerade gehen und irgendwo einen Kum­pel aufreißen, der Kohle hat, als Andreas zur Türe hereinschwankt. Er hat schon einiges geladen, also hat er Geld! Ich haue ihn sofort an, ob er einen ausgibt, und Andreas gibt einen aus!

Wie sich dann herausstellt, war er eben auf dem ‘Sozel’, dem Sozial­amt gewesen und hatte seine hundertvierzig Mark Sozialhilfe abgeholt.

Ich weiß, was das für uns bedeutet: bis zum Nachmittag werden wir da­von mindestens hundert Mark nass gemacht haben. Wir werden bei­de stockbesoffen sein. In den Park werden wir heute nicht gehen. Und die restlichen vierzig Mark werden wir auch noch loswerden.

Und morgen? Morgen? Na ja. – Wenn ich morgen aufwache, werde ich rasende Kopf­schmerzen haben und heiße aufgesprungene Lip­pen. Ich werde den altbekannten Druck in der linken Bauchseite spü­ren, und mein Durch­fall wird sich wieder melden. Mein Körper wird müde und erschöpft sein, das Gehirn keine Ruhe finden.

Bilder, Abläufe, Blitzlichter im Kopf: Gedankenflattern, nenne ich das.

(c) Rolf Höge


 

Aus „Freischreiben“ ISBN-10: 3745094352

Herr Maier

Herr Maier kümmerte sich nicht um die große Politik, ja sie war ihm eigentlich vollkommen egal. Maier wusste nur, dass er keine Arbeit bekam und die Herrschaften auf ihn herabblickten. Meistens gab es zuhause für ihn, die Frau und die Kinder nur eine dünne Suppe aus dem Rest vom harten Brot.

Dann bekam Herr Maier plötzlich eine Arbeit im Straßenbau und ging abends zu Versammlungen. Sie klopften ihm auf die Schulter dort und man gab ihm das Gefühl, wertvoll zu sein, etwas ganz Besonderes zu sein, herrschaftlich, schon durch seine Abstammung. Und diese Abstammung musste man pflegen, man durfte sie sich nicht nehmen lassen, sonst verliere man seine Heimat, seine Identität.

Sie gaben Herrn Maier dann auch eine Uniform, mit der er sich stolz auf der Straße zeigte und die er auch beim Mittagessen am Sonntag nicht auszog, wenn jetzt schon einmal etwas Bratenfleisch auf dem Tisch stand.

Stolz war er, der Herr Maier. Und zuschlagen konnte er, wenn man seine Abstammung nicht würdigte und seine Identität gefährdet war.

Und er sang, der Herr Maier, wie das Blut vom Messer spritzen solle und dass man marschiert, auch wenn alles in Scherben fällt. Und er schrie nach Kanonen, lautstark und so, dass sich seine Stimme fast überschlug, als das Volk die Butter ablehnte und sich für Haubitzen entschied.

Und dann zog er hinaus in die Welt. Und dann kam er zurück, der Herr Maier, abgemagert, verdreckt, missbraucht mit müden Augen und stummen Blick.

Und nachts in seinen angstverzerrten Nächten fragten ihn die Überfallenen, die Geschändeten, die Gefolterten und Ermordeten, die Vergasten nach dem Warum.

Aber Herr Maier hatte sich nie um die große Politik gekümmert, ja sie war ihm eigentlich egal gewesen.

Und er reihte sich ein in die lange, fast endlose Reihe der Unwissenden, damit er wieder schlafen konnte, der Herr Maier.

© Rolf Höge

Wer weiß das schon

Wer sagt denn, etwas müsse so sein, wie es zu sein hat? Kennst du ein Gesetz, ein Regelwerk oder zumindest eine Gesetzmäßigkeit, die verbindlich festlegt, wie Dinge zu sein haben, damit sie so sind, wie sie zu sein haben?

Du willst, dass ich aufhöre zu philosophieren, weil du das nicht mehr hören willst, weil du nicht mehr diskutieren willst über die Dinge?

Es liegt doch auf der Hand, wie etwas ist, das weiß doch jeder, sagst du. Jeder weiß, wie etwas zu sein hat. Und wenn er es doch nicht weiß, dann kann er es ja lernen, wie es zu sein hat, meinst du. Und dann ist es eben so, wie es ist, und wahrscheinlich ist es dann auch so, wie es zu sein hätte, vorher und danach auch wieder, nachdem es dann gelernt wurde. Dann ist es wieder so, wie es zu sein hat.

Alles kann man lernen, auch wie die Dinge sind, kann man lernen. Das sieht man doch, das muss man nur annehmen, sagst du.

Vielleicht können aber nicht alle annehmen, wie es für dich zu sein hat, weil sie es anders beigebracht bekommen haben, wie etwas zu sein hat? Wie ist es denn dann, wie wäre es denn dann, wie hätte es denn dann so zu sein, wenn jemand sagt, etwas müsse so sein, wie es zu sein hat? Ist es dann so wie es ist oder wieder bloß, wie es zu sein hat? Wer weiß das schon, wenn niemand festgelegt hat, wie etwas sein muss, damit es so ist, wie es zu sein hat.

© Rolf Höge

Höher als alle Vernunft

Stell dir vor, aus irgendeinem Grund kommst du von deinem Weg ab und läufst mitten hinein in ein weites Feld aus Kot und Abfall, einem stinkenden Sumpf, der die Beine schwer macht und Kraft kostet. Doch du gehst weiter und mit jedem Meter nimmst du diesen beißenden Geruch nicht mehr so wahr, bis er schließlich ganz verschwindet. Du marschierst zielstrebig geradeaus und irgendwann wird das Gehen auf diesem Weg für dich zur Normalität. Plötzlich begegnen dir Menschen. Du spürst, sie wollen dich von irgendetwas wegholen, dir etwas zeigen, und sie rufen dir zu, es gebe noch einen anderen Weg ganz in der Nähe. Sie verstehen nicht, weshalb du die Nase rümpfst und verbittert im Gestank läufst.

Und da machst du sie zu deinen Gegnern, die dich vom Weg abbringen wollen, der doch deiner ist. Gegner, die dich belehren wollen, dir ihre Wahrheit überstülpen wollen. Und Recht hast du, es ist dein Weg, du hattest dich einmal dafür entschieden, ihn zu gehen, dann aber vergessen, dass du ihn eigentlich nie gehen wolltest. Von da an hast du alles vermieden, die Richtung wieder zu ändern, unterdrücktest jede aufkommende Übelkeit, nahmst den Gestank von Kot in Kauf und rechtfertigtest dies in deinen Gedanken für dich so lange, bis dieser Weg für dich zur Normalität geworden ist.

Du wirst diese Normalität kaum verlassen können, so lange du nicht vertraust, dass da noch etwas anderes existiert für dich, etwas, was du kennst, irgendwie fühlst, aber nicht mehr benennen kannst. Solange du ausgestreckte Hände als Bedrohung interpretierst und Menschen, die von einer anderen Realität, einem anderen Weg, einem anderen Leben erzählen als Gegner verstehst, wirst du weiter in der Kloake laufen, womöglich irgendwann erwachen und um dich herum stinkt es.

Manchmal bedarf es eben eines Stück Vertrauens. Menschen, die dir so im Laufe der Zeit auf dem eingeschlagenen Lebensweg begegnen, können Impulse sein, einmal etwas anderes auszuprobieren. Du musst nicht auf ihren Wegen wandeln, eher vielleicht dein Feindbild vom Gegner für dich neu überdenken.

Und dann hör in dich hinein, schule dich im Fühlen und vielleicht wirst du da etwas hören oder empfinden, was dir zuflüstert: „Vertrau!“Manche nennen das Glauben andere Urvertrauen und wieder andere Wissen, mit dem Verstand kaum zu begreifen, denn es scheint ‚höher als alle Vernunft‘.

(c) Rolf Höge

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Großer Bub

Spargelstangen werden geschnitten. Dann hat die Familie mehr davon mit weißer Soße und Kartoffeln dazu. Die Augen blicken rüber zur Mutter, erwartungsvoll und wissend. Sie legt den Kotelettknochen auf seinen Teller, damit er dem Vater nacheifern kann. Schnell legt er die Händchen um den panierten Stiel, knabbert mit den Mäusezähnchen, schaut nach Papa und fühlt sich groß und stark wie er.

Neben ihm die große Schwester am Tisch, die sich anschickt, der Mutter etwas von ihrem Fleisch abzugeben, weil Mama kaum noch etwas auf ihrem Teller liegen hat. Lächelnd von der Mutter zurückgewiesen mit sanftem, dankbaren Blick zur großen Tochter.

Mamas Worte hört er zur Schwester geflüstert: „Da lernt er etwas, der Bub.“ – Er versteht nicht, was er lernen soll. Das Nagen vielleicht, das Abnagen, bis nur noch blanker Knochen übrigbleibt, ohne ein Fetzchen Fleisch daran. „Fleischlos wie Skelette in der Wüste muss der Knochen aussehen“, sagt Papa immer, der Krieger, der Mann, der Arbeiter.

Gerade heute fällt ihm das wieder ein, steigt die Erinnerung in ihm auf, im großen Buben, der nun selbst schon sechs Jahrzehnte in dieser Welt lebt. Gerade heute, als vor ihm im Supermarkt dieser junge Mann zur Kassiererin sagt, er spreche nur Englisch. Ein Schnittbrot und einen Joghurt will der Mann kaufen. Lässt dann alles liegen an der Kasse, weil die EC-Karte nicht funktioniert und verlässt den Markt.

Damals kleiner Junge, heute Großer Bub sucht er draußen den jungen Mann, kann ihn erst nicht finden, fährt die Umgebung ab, sieht dann später den Fremden in der Waldhofstraße mit ruhigem, aber strammen Schritt gehen, die Hände in den Hosentaschen vergraben als sei das Gehen vertraut und geübt.

Er lächelt, dieser junge Mann, als Großer Bub neben ihm hält und ihn zum Auto winkt:

“I’m sorry. I’don’t speak German.“

„I know“, antwortet Großer Bub. „Go back and buy this bread. – Geh’zurück und kaufe das Brot.”

Und das fremde, junge Gesicht strahlt mit dem 5-Euro-Schein in der Hand.

Vielleicht hat er etwas gelernt, damals von der Mama, der Bub.

© Rolf Höge

 

Neue Wege zur Potenz

Und es gibt sie doch: die Handwerksfetischisten und ihre Wege zur Potenzsteigerung. Sie verfügen über Akkuschrauber, Bohrmaschinen und Hämmer aller Art, sind in der Regel männlichen Geschlechts und zwingen grundsätzlich jeden in die Diskussion über ihr wichtigstes Gesprächsthema: das Heimwerkern.

Die Creme de la Creme dieser Gattung verbringt die meiste Zeit in einem bestausgestatteten Hobby-Keller und niemand weiß so genau, was dort gehämmert, gebohrt oder geschliffen wird. Eine Feile ohne Sound käme einem Luftballon ohne Luft gleich.

Der durchschnittliche Heimfetischist findet ständig etwas in der Wohnung, was behämmert oder zersägt werden muss. Sobald er in einer Ecke der Wohnung mit seiner ohrenbetäubenden Arbeit zu Ende ist, beginnt er an einer anderen Ecke wieder vorne. Ein normales Durchschreiten der Wohnung ist nicht möglich. Argwöhnisch fällt der Blick auf den Fußboden und es hämmert die Frage in seinem Gehirn, ob und wann eben jener Fußboden vielleicht neu verlegt oder in anderer Form bearbeitet werden muss.

Neben Zeitgenossen mit kulturellem Interesse, wie etwa klassischer Musik und auch Menschen, die der Meditationspraxis zugeneigt sind, sucht der potenzgeplagte Hammerschwinger gezielt nach Schichtarbeitern in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Wenn sich dieser Schichtarbeiter dann morgens um vier Uhr geräuschlos aus dem Bett quält und sich gegen vierzehn Uhr auf seine Couch freut, sieht er sich spätestens um Viertel nach Zwei der scheinbar potenzverleihenden Geräuschproduktion eben jenes Handwerksfetischisten gegenüber, der aus dem Nichts heraus die Bohrmaschine anwirft, peinlichst darauf bedacht, jedes Loch einzeln in die Wand zu bohren. Dabei wird die Stille zwischen den Bohrvorgängen bereits im Ansatz durch den sofortigen Einsatz eines Zimmermannshammers unterbunden.

Neuen Erkenntnisse zu folge nimmt der Handwerksfetischist geplante Heimwerkprojekte gerne auch genau dann in Angriff, wenn der Schichtarbeiter morgens müde von der Nachtschicht nach Hause kommt.

Nach all diesen Erkenntnissen mag man mir das Kappen der Stromleitung nachsehen.  /rh

 

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