Kannst du nicht mal die Fresse halten

„Kannst du nicht mal die Fresse halten!“, schnauzt er, während er mit dem Kinn in Richtung Fernseher deutet. „Wieder so ein Pfaffe, der sich an Kindern vergreift! Die gehören alle …“
„Papa…“, klingt es kleinlaut und gedrückt.
„Haltet doch mal euer Maul. Mensch, was erziehst du nur für eine Tochter?“, schnauzt er die Alte an. Er nennt sie schon lange nicht mehr bei ihrem Vornamen, eher Schlampe oder faule Sau, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun hat, als mit der fetten Kuh von Unten zu tratschen.
„Nicht mal bei den Nachrichten hat man seine Ruhe!“, brüllt er und zappt mit dem Daumen jetzt wahllos durch die Programme. Den Rest aus der Bierflasche zieht er sich in einem Schluck hinein.
„Ist auch deine Tochter.“, murmelt die Alte.
„Papa, ich wollte ja nur…“ Sie hält ihm ihre Insel entgegen, die sie auf ein Blatt Papier gemalt hat. –
„Dieses Gesindel heute auf den Spielplätzen! Werfen mit Steinen auf Kinder!“, meint er auf der Ambulanz, während die freundliche Krankenschwester die Platzwunde an der Stirn der kleinen Julia versorgt.
„Wenn wir die erwischt hätten. – Was Julia…?“
Julia nickt. –
„Ja, Papa…“, schluchzt sie bedrückt und hofft, dass Papa das geworfene Feuerzeug zu Hause nicht wieder findet.

© rh

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An meine Zukünftige – Vorsicht Satire!

Ich weiß, du möchtest endlich nach deiner Bestimmung leben, die Erfahrungen, die du nach dreißig Jahren Ehe als Heimchen am Herd sammeln durftest, endlich umsetzen. Ich kann dich verstehen, und all dies möchte ich dir nicht vorenthalten. Es gibt keinen Grund für dich, dem Ideal einer modernen, selbstbewussten Frau nachzueifern, keinen Grund, etwas zu Erstreben, das du nie gelernt, nie erfahren hast.

Lass uns gemeinsam meinem Dosen-Trend ein Ende setzen, wirble mit dem Besen durch meine Küche und finde auch das letzte Brotkrümel unter dem Küchentisch. Hol dir deine Rückenschmerzen am Bügelbrett, damit du wieder beginnst, deinen Körper zu spüren. Fühle die Dankbarkeit in dir, die dich überfällt, wenn ich dir die paar Euro für ein neues Kleid beim Discounter auf die Waschmaschine lege. Spüre den Stolz in dir, all die Hausarbeit tagsüber alleine bewältigen zu können. Sei offen für deine Weiterbildung, wenn ich dir das wesentliche der Abendnachrichten erkläre. Genieße das exstatische Beben in deinem Körper, wenn sich nach einem halben Jahr endlich so viele Unterhosen von mir in deinem Wäschekorb gesammelt haben, dass es für einen kompletten Waschgang reicht. Freue dich über mein Schmatzen beim Abendessen, das dir signalisiert, welch gute Köchin du doch bist, auch wenn nur ich deine Gerichte genieße.

Lebe die stille Erotik mit mir. Du brauchst nichts zu tun. Lass dich einfach verwöhnen und deine Gedanken lächelnd durch das Dunkel der Nacht streifen, bis hin zu dem schrillen Schreien des Weckers am nächsten Morgen. Spüre meine Großzügigkeit, du, mein Leben. – Liebe mich, denn ich bin mir dich wert.

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Der Schrei der Karotte

Angefangen hatte alles beim Gemüsehändler. Die Bananen lagen einsam im Korb und draußen hatte es schon den ganzen Morgen geregnet. Lilly war wieder einmal nicht zum Frühstück erschienen, und Onkel Philipp hatte ein ganzes Einmachglas mit Zwetschgen von seinem Nachttisch fallen lassen.

Mir blieb nichts anderes, als den ganzen Weg von Arkansas zum Old Man River in dem einzigen Paar Hausschuhen zurück zu legen, das ich seit meiner Konfirmation im April ‘69, als ich diesen fatalen Streit mit dem Pfarrer wegen der irrtümlichen Annahme hatte, die Welt sei durch einen lauten Knall entstanden, noch besaß.

Das freundliche Lächeln des Blumenkohls wirkte etwas erhaben, als ich mit der einen Hand, die ich noch bewegen konnte, den Salat sortierte, wobei ich peinlichst darauf bedacht war, den großen Köpfen nicht den Vorzug vor den kleinen zu geben. Ganz hinten saß diese kleine, schnuckelige Zwiebel, die mir schon so manches mal das Wasser in die Augen getrieben hatte, wenn es hier in der Region wieder einmal so unerträglich heiß geworden war und selbst die Kühlhäuser zu schwitzen anfingen. Ich war ja so dankbar dafür!

Alles in allem hätte ich an diesem Morgen vollkommen zufrieden sein können, wäre da nicht dieser kleine Vorfall auf dem Barhocker am Abend zuvor gewesen. Ich war nur ganz wenig vor gefallen, aber es hatte gereicht, mit dem Gesicht – ich glaube mit der Stirn zuerst – den Boden zu berühren, von dem behauptet wird, er sei früher durch einen Teppich geschmückt gewesen.

Es fiel mir daher nicht schwer, dem Gemüsehändler die Hand zu drücken, was diesen jedoch veranlasste, das grüne Glas mit Gurken der Schwerkraft auszusetzen, was wiederum dazu führte, die Zwiebel, welche mir noch kurze Zeit zuvor zugelächelt hatte, in eine Linksdrehung zu zwängen, während plötzlich diese vorne spitz zulaufende Essiggurke genau auf mich zukam.

Der etwas aufdringliche Geruch des Gemüsehändlers störte mich nicht, wohl aber die Hand, die er versuchte um meinen Hals zu legen. Vor etwa siebzehn Jahren musste mich ein Erlebnis beeindruckt haben, das diesem auffallend ähnelte, doch so sehr ich es auch versuchte, ich konnte mich nur noch ganz entfernt daran erinnern.

Kaum jemanden interessierte sich für den Zeitpunkt, an dem die Linksdrehung der Zwiebel beendet war und die Zwiebel selbst, jene die mir in den heißen Tagen das Wasser in die Augen getrieben hatte, zielbewusst auf eine Karotte zusteuerte, die offenbar von diesem Angriff völlig überrascht war. Auch der Blumenkohl begriff die Zwiebelgefahr und begab sich schnellstens außerhalb ihrer Reichweite.

Nur diese kleine, schnuckelige Karotte konnte, ob sie es wollte oder nicht, der Zwiebel nicht ausweichen.
Es gab einen lauten Knall, der irgendwie jenem Knall ähnelte, den ich damals in den Ohren hatte, als Gustav diese Feuerwerkskörper im Jahr ‘62 eigentlich zu Onkel Philipp hätte bringen sollen und sie dann doch neben meinem Bett hatte liegen lassen, obwohl er wusste, ich rauche grundsätzlich im Bett und achte normalerweise nicht darauf, ob da, wo sonst immer ein Aschenbecher steht, auch jedes Mal ein Aschenbecher steht.

Ich spürte förmlich wie mir dieser markerschütternde Schrei jener so sympathischen Karotte durch sämtliche Glieder fuhr. Und nie werde ich dieses cholerische Lachen der Zwiebel vergessen, als schließlich der Gemüsehändler, in Anbetracht der sehr kritischen und angespannten Lage, meinen Kopf in beide Hände nahm und ihn mit einer Geschwindigkeit hin und her bewegte, die vermuten ließ, mich mit dem Schrei der Karotte in Verbindung zu bringen.

Ich weiß heute nicht mehr so genau wie das alles weiter ging, aber wenn Sie wollen, erzähle ich Ihnen gerne wie das alles angefangen hatte.

Also, angefangen hatte alles beim Gemüsehändler…

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Zu den Themen Sucht- und Persönlichkeitsentwicklung, Arbeit- und Soziales sowie Humorvolles führe ich in Ihren Räumlichkeiten gerne die Autorenlesung „Meine Schreibe…“ durch.

Einst wachte ich des Morgens auf

Einst wachte ich des Morgens auf,
Töpfe schlugen laut wie Glocken,
Füße tappten hin und her.
Mir war als wollt’ das Herz mir stocken:
die Brut kennt den Respekt nicht mehr!

So schrie ich auf, befahl die Stille:
merkt ihr nicht, dass ich noch schlafen will?

Verstummt sind heute all die Glocken,
einsam ist es

und so still.

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Die Sternengeburt

Kennt noch jemand Alexander Klaws, Eli Erl oder Tobias Regner? Drei Sterne, die am Sternenhimmel von Deutschland sucht den Superstar kurz aufflammten, um dann im Glanze der nachfolgenden Staffel wieder zu erlöschen. Lediglich der Gewinner der vierten Staffel dürfte heute noch ein Begriff sein, was schon sein Auftritt in der heutigen Sendung von DSDS verdeutlicht. Nicht der Gewinner des Vorjahres, Daniel Schuhmacher, präsentiert seinen neuesten Song, sondern der 2007 gewählte Superstar und Bohlen-Liebling Mark Medlock höchst persönlich.

Und dann sind da noch die Kandidaten der siebten Staffel, die heute Abend das Halbfinale bestreiten und die wohl nächstes Jahr auch wieder verlöscht sein werden. Also rauf auf die Couch, die Chips raus und mit einem großen ‚Gähn’ den nächsten Schritt zur Sternengeburt mitgehen oder einfach mit der Fernbedienung weiterzippen und schauen, wie und wo die Kabelgebühren noch verbraten werden.

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Steh auf und geh!

Sie haben dich gerettet. Nach mehr als acht Stunden stellten sich diese schrecklichen Magenschmerzen als Herzinfarkt heraus, als Hinterwandinfarkt. Der Schmerz ist vorüber. Du spürst nicht einmal, dass da etwas war. Zwei Stents wurden gesetzt, das Blut fließt wieder. Ein Herzkranzgefäß konnte nicht geöffnet werden, muss sich schon vor langer Zeit geschlossen haben. Eine Bypass-Operation raten sie dir.

Und du fragst dich nach dem Sinn. Der Infarkt zeigte dir deutlich, du bildest keine Ausnahme, auch du bist sterblich. Und du fragst dich nach dem Sinn, spürst die Angst in dir. Nicht die Angst vor dem Tod, sondern die Angst, alles zu verlieren, die Angst, jede Erinnerung ausgelöscht zu bekommen. Und du fragst nach dem Sinn.

Ein halbes Jahr später kommt die Bypass-Operation. Diesmal ist der Schmerz nicht vorüber. Nur langsam lernst du wieder ein paar Treppen zu steigen. Sie bereiteten dich nicht ausreichend darauf vor. Wenn du einen weißen Arztkittel siehst, steigen die Tränen hoch, du kannst es nicht verhindern, sie kommen ungefragt. Und du fragst dich nach dem Sinn. Wie viele Lebensjahre rechtfertigen diesen Eingriff. Du wirst gehen müssen, irgendwann. Vielleicht morgen, vielleicht in ein paar Jahren. Man gewährte dir noch etwas Zeit.

„Es war nur ein leichter Infarkt. Man sieht ihn kaum. Damit können Sie locker noch über zwanzig Jahre leben“, sagten sie dir. Und du leidest so sehr, dass du mit dieser Zeit nichts anfangen kannst, sie aber auch nicht hergeben möchtest.

Und du fragst dich nach dem Sinn.

Und eines Morgens wachst du auf und die Sonne scheint. Sie scheint wieder, auch für dich. Und du erkennst, dass du der Zeit ihren eigenen Sinn geben musst.: „Steh auf und geh!“

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Die Depressionsinsel

Heute trage ich sie zu Grabe. Heute, am Karfreitag, beende ich ihre Daseinsberechtigung. Gestern schon, als ich mir zugestand, dass ich mir ein neues Fahrrad wert sein darf, zeichnete sich ihr Ende ab.

Jahrelang leistete sie mir gute Dienste, war immer für mich da, wenn das Leben mit seinen Wogen über mich herein brach, mir mit Verletzung oder gar dem frühen Tod drohte. Sie richtete mich scheinbar auf, wenn ich Ablehnung erfuhr. Sie hüllte mich geborgen ein und verlangte mir kein Handeln ab.

Sie nährte meine Verlustfantasie, rechtfertigte die Dunkelheit um mich herum, die verschlampte Couch, die Schokoladenflecken, meine Fettleibigkeit und das nach Abwasch schreiende Geschirr in der Küche. Sie sorgte für mein schlechtes Gewissen, das mich stets wieder zu ihr führte. Sie war schneller als jedes Selbstwertgefühl, das in mir hochstieg, machte mir einerseits meine Winzigkeit bewusst und katapultierte mich andererseits nach jeder scheinbaren Niederlage in den Größenwahn. Hier war ich Opfer, hier durfte ich sein: auf meiner Depressionsinsel.

Ich trage sie heute zu Grabe und mit ihr das Opfer mit seinen Verlustfantasien. Dankbar gebe ich ihr das letzte Geleit. Sie zeigte mir die Schatten, ließ mich überleben. Sie stirbt für mich, als Vorbereitung auf die Lebendigkeit, die durch ihren Tod nun in mir auferstehen kann.

© rh

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