Sie haben dich gerettet. Nach mehr als acht Stunden stellten sich diese schrecklichen Magenschmerzen als Herzinfarkt heraus, als Hinterwandinfarkt. Der Schmerz ist vorüber. Du spürst nicht einmal, dass da etwas war. Zwei Stents wurden gesetzt, das Blut fließt wieder. Ein Herzkranzgefäß konnte nicht geöffnet werden, muss sich schon vor langer Zeit geschlossen haben. Eine Bypass-Operation raten sie dir.
Und du fragst dich nach dem Sinn. Der Infarkt zeigte dir deutlich, du bildest keine Ausnahme, auch du bist sterblich. Und du fragst dich nach dem Sinn, spürst die Angst in dir. Nicht die Angst vor dem Tod, sondern die Angst, alles zu verlieren, die Angst, jede Erinnerung ausgelöscht zu bekommen. Und du fragst nach dem Sinn.
Ein halbes Jahr später kommt die Bypass-Operation. Diesmal ist der Schmerz nicht vorüber. Nur langsam lernst du wieder ein paar Treppen zu steigen. Sie bereiteten dich nicht ausreichend darauf vor. Wenn du einen weißen Arztkittel siehst, steigen die Tränen hoch, du kannst es nicht verhindern, sie kommen ungefragt. Und du fragst dich nach dem Sinn. Wie viele Lebensjahre rechtfertigen diesen Eingriff. Du wirst gehen müssen, irgendwann. Vielleicht morgen, vielleicht in ein paar Jahren. Man gewährte dir noch etwas Zeit.
Es war nur ein leichter Infarkt. Man sieht ihn kaum. Damit können Sie locker noch über zwanzig Jahre leben, sagten sie dir. Und du leidest so sehr, dass du mit dieser Zeit nichts anfangen kannst, sie aber auch nicht hergeben möchtest.
Und du fragst dich nach dem Sinn.
Und eines Morgens wachst du auf und die Sonne scheint. Sie scheint wieder, auch für dich. Und du erkennst, dass du der Zeit ihren eigenen Sinn geben musst.: Steh auf und geh!
© rh
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Im Grunde eine wunder-volle Ostergeschichte …
„Steh auf und geh“: Dieser biblische Satz inspiriert immer wieder aufs Neue.
LG
Holdastern
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