Vom Großen Buben und einem depressiven Frosch

Manchmal ernst, manchmal heiter präsentierte Rolf Höge seine Lesung am 14. August in der Hummels-Scheier-Galerie in Lampertheim. Berührung durch Text lässt Begegnung zu, meinte der Autor aus Mannheim zu seiner vierzigminütigen Autorenlesung.

Berührend seine Geschichte vom Großen Buben, der von der Mutter das Helfen gelernt hatte. Heiter und unterhaltsam seine humorvollen Beiträge in Mundart. Ob er nun das Augenmerk auf den depressiven „Frosch un die Mott“ lenkte oder in Mannheimer Dialekt die Zubereitung des deutschen „Worschtsalats“ erläuterte: Höge kam beim Publikum an.

Die Einladung zur Lesung erfolgte durch Karin Maurer und Martina Rausch, die in der Hummels-Scheier-Galerie Malerei und Betonarbeiten ausstellten. Höge ist wie die beiden Künstlerinnen Mitglied im Künstlerverein Bürstadt sowie im Literarischen Zentrum Rhein Neckar „Die Räuber 77“.

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Sie sind wir

Sie verkünden, das Gute sei schlecht und Solidarität üben nur Schwache. Sie dringen in Gedanken wie Diebe in der Nacht und schreien, deine Freiheit sei bedroht. Sie behaupten, man wolle dich ersetzen, deine Identität rauben. Sie ignorieren die Toten um dich herum, entzweien Vater und Sohn, Mutter und Tochter, Bruder und Schwester, Nachbarn und Freunde

Stärke liege nur im Ich des Einzelnen, Miteinander sei die Angst des Feiglings. Sie applaudieren Menschenfeinden, erheben Bühnenkünstler zu ihren Führern und deren Feindbilder zu Anbetungsgötzen.

Jeder ist sich selbst der Nächste, Nächstenliebe kommt vor dem Fall, verkünden sie.

Sie hausen an den Polen unserer Meinungen und machen das Land dazwischen unbewohnbar für Gemeinschaft, für Unterstützung, für Toleranz und Liebe.

Sie bieten wortgewaltige Schlagzeilen, eine uferlose Freiheit der Unendlichkeit, in der du ersaufen sollst als schwimmest du in einer Nussschale auf hoher See.

Sie sind ich, sie sind du, sie sind wir.

Rolf Höge

Es ist ein Spiel

Inspiriert von einem Besuch in der Kunsthalle Mannheim, entstand diese Kurzgeschichte …

Sie müssen wissen, ich schreibe nicht nur, ich male auch seit einiger Zeit. Ich male abstrakt, bewundere jedoch alle, die ihre Pinsel so einsetzen als wollten sie Landschaften fotografisch abbilden. Wie hier auf den Bildern einer Ausstellung in der Kunsthalle.
„Aber du wirkst etwas bedrückt.“ Ich höre Jakobs Stimme in meinem Kopf.
Meine Vornamen lauten Rolf, Jakob und Richard. Jakob und Richard waren meine Onkel, die Brüder meines Vaters. Sie sind schon lange verstorben, aber sie reden manchmal mit mir. Sie melden sich meist ungefragt und ich habe mich schon daran gewöhnt.
„Das Grün erschlägt mich“, sage ich.
„Ah, der Malkurs“, meint Jakob.
„Üben, üben,“, Richard zitiert meine Kursleiterin. „Immer wieder Farben mischen. Sehen Sie sich die alten Meister an.“
Seit sechs Monaten besuche ich ihren Kurs
Aber ich bin Rentner und habe keine Zeit fürs Üben, für das Mischen von Farbnuancen. Rentner sitzen entweder beim Arzt oder verbringen ihre Restlebenszeit damit, vergessene Träume verwirklichen zu wollen. Außerdem hasse ich Grün auf Leinwand. Nicht jedes Grün, aber dieses dunkle, fette, satte Grün.
Mein Blick schweift über die Wände des Ausstellungsraumes: detailgetreue Landschaftsbilder verschiedener Künstler, pointierte Abstufungen, filigran gemalte Blätter in dichten Baumkronen. Produkte menschlicher Fotoapparate schleudern mir dieses Grün entgegen. Selbst das großformatige „Birkenstück“ von Ralph Fleck abstrahiert einen grünen Wald, in dem drei Birken stehen.
„Und das hier wirkt auf mich wie ein Urwald, ein Urwald mit Birken.“ Ich zeige auf das Gemälde von Fleck.
„Lass mal die Kirche im Dorf“, höre ich Richard. „Erst stören dich die Landschaftsbilder, jetzt die abstrakten Birken.“
Auch Jakob meldet sich wieder.
„Also nochmals: du wirkst bedrückt, was stört dich denn?“
Ich stutze kurz, fühle in mich hinein, wie ich es immer tue, wenn Jakob und Richard anwesend sind.
„Die Stimmung“, antworte ich, „dieses Grün in fetten, alten Stuckrahmen erdrückt mich. Ich höre nichts und fühle nichts. Ich sehe nur diese Momentaufnahmen von Blättern.“
„Landsacape – Landschaften, heißt die Ausstellung“, sagt Richard.
„Ich hätte sie anders genannt: Einsamkeit.“
„Einsamkeit?“
„Oder Langeweile. Die Künstler schweigen. Was empfinden sie in der Natur, wie säuselt der Wind, wie pocht freudig das Herz beim Geruch von frisch gemähtem Gras?“
„Werde jetzt nicht poetisch“, spottet Jakob.
Ich gehe nicht darauf ein.
„Lebendig geht anders“, murmele ich vor mich hin, „ich sehe nur Grün.“ Leicht genervt schreite ich die Wand entlang.
Gut, ich räume ja ein, seit vorgestern eine Abneigung gegen Grün zu haben, obwohl die Kursleiterin ja Recht hatte. „Da fehlen die Grundlagen“, hallt es noch in mir nach, „immer wieder die Farben mischen, üben, üben.“
Ernsthaft, diese grünen Bilder hier lassen mir nur die Wahl zwischen schön oder nicht schön, lassen mich werten anstatt fühlen.
Unvermittelt zieht es mich zu einem anderen Bild: Heinrich Bürkel malte 1839 die ‚Campagna mit Aquädukt‘.
„Seht mal her“, spreche ich zu meinen Onkeln. “Dieser Schäfer wacht über seine Schafe. Auf dem Esel daneben sitzt eine Frau und hält ihr Kind in den Armen. Eine Szene inmitten einer italienischen Landschaft, filigran, detailgetreu und lebendig.“
Ich trete näher an das Bild. „Schaut, Bürkel übergibt mir eine Geschichte und überlässt mir die Entscheidung über Inhalt und Verlauf. Ich entscheide, ob ich in die Szene eintauche, wann immer ich will und wie ich will. – Wisst ihr, was ich meine? So entsteht für mich eine neue, vorher noch nicht gekannte Realität.“
„Entscheidung ist ein gutes Stichwort“, klingt Richard zu mir. “Oben sind Werke von Anselm Kiefer. Er sagt, der eigentliche Schaffungsprozess sei gar nicht so schwierig. Schwierig sei, zu entscheiden, was man gestalten will. Alles andere läuft dann fast von alleine.“
„Lasst uns hochgehen“, sage ich.
Ich habe nicht oft das Gefühl, begeistert das Zimmer eines alten, durchgeknallten Freundes zu betreten. Mit voller Wucht trifft mich der überdimensionale Willkommensgruß von Anselm Kiefer, und ich bestaune sein riesengroßes Bild eines aus Blei modellierten U-Bootes inmitten einer weißgrauen Berglandschaft.
‚Noah‘, nennt Kiefer das Bild. Da braucht es kein Grün, keine Nachbildungen. Unterschiedliche Materialien wie Holz, Blei, Ölfarbe und Teer benutzt der Künstler, um sich auszutoben. Wie ein Kind, dem man die große Freiheit lässt, zu spielen, voller Lust und Drang. Jedes Werk, das er präsentiert, wirkt einladend und verkörpert für mich die Reduktion von Sachverhalten auf das Wesentliche – wie in einem Gedicht.
Noah baute die Arche, denke ich. Wir bauen U-Boote, um uns zu vernichten.
„Ich glaube nicht, dass Anselm Kiefer eine so eindeutige Aussage machen wollte“, meldet sich Richard wieder. „Er spielt. So wie Du früher als Kind auf dem Klo, als Du selbst Landschaften geschaffen hast.“
„Als ich mit den Fingernägeln die weiße Farbe vom Wasserrohr gekratzt habe? Ja, da entstanden Geschichten, ganz von alleine. Ich musste nichts erfinden.“
„Oder als du in deinem neuen Matrosenanzug Schiffe aus Schlamm gebastelt hast“, warf Jakob ein.
Ja, genau, denke ich. Dieses lustvolle Beginnen, wie befreiend, einfach anfangen und zulassen, was kommt, entlanghangeln an der Lust im Tun, ein Spiel voll Spaß und Kraft, ohne vollendet präsentieren zu wollen. Ich spüre den Impuls, mitzuspielen und mit den Händen ins Bild zu greifen, fühle mich aufs Höchste willkommen, in diesem Spielzimmer der Kunsthalle.
Auf dem Heimweg treffe ich meine Entscheidung.
Mein Atelier ist ungefähr zwei auf drei Meter groß und nennt sich Küche. Die Küche ist nicht immer als solche erkennbar. Manchmal tausche ich auch den PVC Boden aus, weil Acrylfarbe nicht immer dortbleibt, wo ich sie haben will.
Mit zwei großen Tuben stehe ich vor dem Küchentisch und klatsche Farbe auf eine mittelgroße Leinwand. Immer und immer wieder, bis ich beginne, die Farbe großflächig mit beiden Händen zu verteilen.
„Aha – was ist das? Hat das jetzt sein müssen? Schau dich mal an!“ Jakob und Richard sind wieder da. „Ich denke, du magst kein Grün?“
Ich schaue an mir herunter. Die Jeans kann ich wegwerfen. Von den Schenkeln bis zu den Knien sind die Hosenbeine mit grüner Farbe besudelt.
„Scheißegal!“, schnauze ich. “Das ist ein Spiel! Ein Tannenbaum ist nun einmal grün, auch wenn er in der Wüste einzeln und groß aus einem schwarzen U-Boot wächst!“

© Rolf Höge

X-Komma-Null-Viereinhalb

X-Komma-Null-Viereinhalb

 

„Ich lebe in vollkommener Harmonie und Reichtum, ich bin Millionär, ich bin Millionär.“

Immer wieder plapperte ich den Satz vor mich hin und betrachtete dabei den Mahnbescheid vor mir. In der linken Hand hielt ich den Bestseller über positives Denken, der mir den Weg in die absolute Wunscherfüllung zeigen sollte, und mit der rechten schob ich mir genervt eine Zigarette zwischen die Lippen. Doch der Bescheid vom Amtsgericht verschwand nicht. Er löste sich einfach nicht auf.

Ich beschloss, etwas tiefer in die esoterische Trickkiste zu greifen, eilte zu meinem Schreibtisch und zog ein Blatt Papier aus dem Drucker. Schnell zeichnete ich in der Mitte eine Gerade und teilte das Blatt so in zwei Hälften auf. Die Gerade stellte nun die Linie für die Gegenwart dar, für das Jetzt! Den Mahnbescheid positionierte ich nun links von der Gegenwart und rechts davon einen Euro, der mir als Symbol für das Geld aus der Zukunft dienen sollte. Nun zentrierte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf diese Gegenwartslinie, bewegte den Mahnbescheid langsam auf sie zu und tat das Gleiche mit dem Euro-Stück, bis beide, Mahnbescheid und Euro, genau im Jetzt aufeinander trafen. Geldsorgen und Geldmittel hatten sich damit vereinigt.

Ich nahm noch einen tiefen Zug aus meiner Zigarette, drückte sie im Ascher aus und schob eine CD mit Entspannungsmusik in meinen Player. Dann legte ich mich auf die Couch im Wohnzimmer. Es ging nun darum, mich und meine Gedanken in die notwendige Geldschwingung zu bringen, damit nach dem Gesetz der gleichen Schwingung das Geld auch zu mir finden konnte. Bei leiser Musik konzentrierte ich mich zunächst auf meinen Atem, spürte in meinen Körper hinein und legte dann meine Hände über die Augen, wie ich es bei meiner Reiki-Einweihung gelernt hatte. Danach kam die zweite Handposition aus dem Reiki und die Hände lagen auf der Schläfe. Weiter ging es zum Hinterkopf, hoch zum Scheitelchakra und dann schrittweise hinunter bis zum Wurzelchakra. Überall in meinen Körper ließ ich die universelle Lebensenergie nach dem System von Dr.Usui fließen. Alles war in Fluss, alles floss, ‚penta rei‘ eben.

Fast wäre ich dabei eingeschlafen, doch das schrille Läuten der Türglocke riss mich aus meinen mentalen Schwingungen: der Gerichtsvollzieher. Er hatte sich angemeldet, schriftlich, durch einen Hinweis im Briefkasten, weil er mich am Vortag nicht zuhause angetroffen hatte. Es ging wieder einmal um nicht bezahlte Strafzettel wegen Falschparkens und wenige Minuten später wechselten rund hundert Euro den Besitzer. Ich war stocksauer, hatte ich doch tatsächlich, wie es dieser Josef mit seinem Buch über die richtige Denkweise geschrieben hatte, den ganzen Tag über nur gute Gedanken gedacht. Und dann so etwas: Mahnbescheid, Gerichtsvollzieher, Geld weg!

Der Herr verließ wenig später meine Wohnung,. nicht ohne mir vorher mitzuteilen, er werde noch weitere Eintreibungen gegen mich vornehmen und bezüglich dieser Angelegenheiten nochmals auf mich zukommen.. Ich eilte zum Telefon und wählte direkt durch.

 

Angenehm drang die freundliche Stimme an mein Ohr „Spirituelle Weltauskunft Sektion Deutschland. Mein Name ist Anita Meyerbrand. Was kann ich für Sie tun?“ „Herbeldinger, Guten Tag! Ich brauche eine Auskunft zum bevorstehenden Weltuntergang. Wann genau findet der nun statt?“

„Ihre Kundennummer bitte zunächst, Herr Herbeldinger.. – Und ihr Spezialgebiet.“

„X-komma-null-viereinhalb. Ich bin hunareikiorientiert mit hermetischem Quertouch.“

Ich hörte wie ihre Finger schnell über die Tastatur huschten und sie meine Daten in ihren PC eingab.

„Herr Georg Herbeldinger, richtig?“

„Richtig!“

„Nun, Herr Herbeldinger, zurzeit liegen uns keine gesicherten Erkenntnisse für dieses Jahr vor. Wir haben zwar hier zwei Channelmeldungen, die allerdings etwas auseinander liegen.“

„Was heißt das?“

„Tja, Anfang Juli dieses Jahres könnte der Weltuntergang eintreten. Dafür stehen allerdings noch keine Transportschiffe für unsere Mitglieder bereit. Der Massenselbstmord ist auch noch nicht eingeplant.“

„Und was ist mit der zweiten Channelmeldung?“

„Nach dieser ist mit einem solchen Ereignis erst in ungefähr zehn Jahren zu rechnen. Wie alt sind Sie, Herr Herbeldinger?“

„Fünfzig!“

„Dann gehören Sie zu unserem ausgewählten Kundenkreis und ich könnte Ihnen ein Angebot von ‚Spirituelle Weltauskunft Sektion Deutschland’ unterbreiten, das wir gerade für Kunden Ihrer Altersklasse konzipiert haben. Wenn Sie noch ein paar Minuten Zeit hätten, Herr Herbeldinger?“

Ich sog hörbar die Luft durch die Nasenflügel.

„Ich möchte jetzt kein Sonderangebot. Mir steht das Wasser bis zum Hals.“

Sie schwieg.

„Bei mir häufen sich die Rechnungen und ich muss dringend wissen, ob ich Wege finden muss, diese zu begleichen, oder ob sich das alles erübrigt wegen des Weltunterganges.“

„Unabhängig davon“, versuchte es Anita Meyerbrand weiter, „schätzen wir uns als ‚Spirituelle Weltauskunft Sektion Deutschland’ glücklich, nun auch den Reinkarnationsverein mit Sitz in Köln zu unseren Mitgliedern zählen zu dürfen. Haben Sie davon schon einmal etwas gehört, Herr Herbeldinger?“

„Nein!“

„Nun, Herr Herbeldinger, der Reinkarnationsverein hat sich angeboten, die Verwaltung des Vermögens unserer Einzelmitglieder bis zu deren Wiederkehr, also bis zu ihrer erneuten Inkarnation, zu verwalten.“

„Ich habe kein Vermögen.“

„Wir bieten Ihnen diesen besonderen Service für nur zwei Euro zusätzlich zu Ihrem jetzigen Mitgliedsbeitrag an.“

„Hören Sie…“

„Ja, ich weiß, Herr Herbeldinger, der Weltuntergang.“

„Genau! Können Sie mir da keine ernsthaften Auskünfte geben?“

„Alles, was wir anbieten ist ernsthaft, Herr Herbeldinger.“

„Deshalb rufe ich Sie ja an.“

„Vielleicht probieren Sie es einmal mit einem Medium. Das ist für Sie kostenlos und wird über Ihren Monatsbeitrag abgedeckt. Wir haben zwei Medien, die jederzeit channeln können. Ohne große Ritualsvorbereitungen.“

„Sind das die zwei mit den unterschiedlichen Meldungen?“

„Nein.“

„Ok, dann verbinden Sie mich.“

Es dauerte eine kleine Weile bis sich nun eine ältere Frauenstimme meldete:

„Sie sprechen mit Uritella vom Schwarzwaldverein Seat Luchs. Womit kann ich dienen?“

„Ich benötige eine sichere Channelbotschaft zum Weltuntergang:“

„Wünschen Sie den Kontakt zu einem bestimmten aufgestiegenen Meister oder zum Heiland selbst?“

„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.“

„Sollten Sie aber“, säuselte Uritella. “Ich habe hier eine ganze Palette von Meistern, die ich channeln kann. Und soviel Zeit steht mir nun auch nicht gerade zur Verfügung. Ich bin gerade mit meinem Badewasser beschäftigt.“

„Mit Ihrem Badewasser?“

„Ja. Ich habe doch die göttliche Botschaft bekommen, Heilwasser zu verkaufen.“

„Was hat das mit Badewasser zu tun?“

„Nach einer göttlichen Rezeptur muss ich mein Badewasser mit der linken Hand im Uhrzeigersinn umrühren. Dabei fließt die gesamte Heilenergie ins Badewasser.“

„Und das ganze lässt sich verkaufen?“

„Selbstverständlich. Ich fülle mein Badewasser in Flaschen ab. Meine Kunden sind äußerst zufrieden.“

„Das käme für mich wahrscheinlich nicht in Frage. Ich bin hunareikiorientiert. Ich bräuchte Informationen zum Weltuntergang. Kann meine Rechnungen nicht bezahlen.“

„Dann schlage ich Ihnen mal Serephinola vor. Der ist leicht zu channeln, bringt die Dinge auf den Punkt und liegt selten daneben.“

„Gut. Fangen wir an.“

„Alles was ich bräuchte, wäre nochmals Ihre Kundenummer. Und danach möchte ich Sie bitten, kurz die Augen zu schließen.“

„X-komma-null-viereinhalb, Herbeldinger.“

Ich schloss die Augen.

„Nun atmen Sie tief in Ihren Bauchraum und lassen Sie sich von Ihrem Unbewussten ein Symbol für Ihre Frage schenken.“

„Eieruhr!“

Kaum hatte ich ihr das Symbol genannt, hörte ich ein leichtes Seufzen am anderen Ende der Leitung, das nach wenigen Sekunden in immer lauter werdendes Stöhnen und Grunzen überging.

„Alles in Ordnung?“ fragte ich leicht besorgt.

Statt einer Antwort hörte ich nur den markdurchdringenden Schrei:

„Serephinola! Serephinola!“

Dann Stille. Ich wartete ungeduldig. Endlich:

„Herr Herbeldinger“, Uritella klang nun wieder ruhig und vertraut. „Die Sache gestaltet sich etwas schwierig. Seriphinola meint, es gäbe konzentrative Hemmnisse in Bezug auf Ihre Frage, da Sie offensichtlich über keinerlei Astralerfahrungen verfügen.“

„Ich bin hunareikiorientiert. Wir arbeiten fast ausschließlich energetisch.“

„Wir haben Astraltraining im Angebot. Natürlich in abgespeckter Form. Das ganze dauert nur wenige Minuten. Danach dürfte einem Kontakt mit Serephinola nichts mehr im Wege stehen.“

’Ich habe keinen blassen Schimmer, was ich nun tun soll’, schoss es mir durch den Kopf. ‚Meine Rechnungen! Meine Ziele! Mein Leben überhaupt!’

„Können Sie mich verbinden?“

„Klar doch!“ Und schon klickte es in der Leitung.

„Out-Of-Body-Experience-Odenwald-Liga. Sie sprechen mit Stephan Monroe. Was kann ich für Sie tun.“

„Ich brauche einen Schnellkurs.“

„Basic?“

„Keine Ahnung.“

„Ok, dann wahrscheinlich Basic. Sind Sie schon einmal mit kosmischen Gesetzmäßigkeiten konfrontiert gewesen?“

„Ständig. Ich habe einen hermetischen Quertouch.“

„Ihre Kundennummer, bitte.“

„X-komma-null-viereinhalb.“

„Herr Hebeldinger. Ich darf Sie bitten, sich während des Schnellkurses ganz genau an meine Anweisungen zu halten. Sie haben Erfahrung im Visualisieren?“

„Selbstverständlich.“ antwortete ich sichtlich genervt.

„Dann visualisieren Sie bitte in folgender Abfolge und nach Möglichkeit ziemlich schnell: Sie sitzen in einem Unterseeboot. Zweitens: Sie befinden sich in einem Raumschiff. Drittens: Sie fliegen losgelöst von allem irdischen über den Mount Blanc. Von links nähert sich Ihnen ein brasilianischer Schmetterling. Winken Sie ihm mit der rechten Hand. – Haben Sie’s?“

„Klar doch.“

„Sehr schön. Nun kommen wir zu Ihrer eigenen Kreation. Es geht darum, dass Sie sich kurzfristig aus Ihrem Körper lösen und sich Ihrem eigenen Reiseziel nähern. Wohin möchten Sie reisen?“

„Dazu fällt mir nichts ein.“

„Dachte ich mir schon.“ meinte Stephan. “Das kommt ziemlich oft vor. Vielleicht habe ich da etwas für Sie.“

Ich hörte das Rascheln von Papier durch den Telefonhörer.

„HEBAB Ltd. in Newcastle, Herr Herbeldinger, ist das derzeit effektivste Reisebüro für Astralreisende, das wir zu äußerst günstigen Konditionen für unsere Mitglieder gewinnen konnten. Die Zusammenarbeit mit HEBAB gestaltet sich sehr angenehm.“

„Was kostet mich das?“

„Der Erstkontakt ist für Sie kostenlos.“

„Gut. Verbinden Sie mich.“

„Hello. This is HEBAB Ltd., Newcastle. We are not available at the moment – Wir sind im Moment nicht erreichbar.“

Die Verbindung wurde abrupt unterbrochen.

 

Ich öffnete das Fenster und atmete die frische Abendluft tief in meine Lungen. Gedankenverloren schaute ich ein paar Minuten in die Weiten des Abendhimmels. Dann wandte ich mich vom Fenster ab.

Mein Blick wanderte wieder hin zum Telefon, das mich so stark in seinen Bann zog.

Ich nahm den Hörer erneut ab und wählte

„Psychiatrisches Zentrum für seelische Gesundheit. Guten Abend. Was können wir für Sie tun?“

„Mein Name ist X-komma-null-viereinhalb. Ich brauche frisches Badewasser. Mein Schmetterling sitzt im U-Boot. Wie weit ist es bis zum Mont Blanc? Schicken Sie mir die Rechnung bitte.“

Es tut gut nun hier zu sein. Ich bekomme regelmäßig Frühstück, Mittagessen und Abendessen. Und jeden zweiten Mittwoch gehe ich vormittags in die Bastelgruppe.

 

(c) Rolf Höge

 

Aus meinem Buch „Freischreiben – manchmal ernst, manchmal heiter“

 

Gestalten Sei doch einmal einen ‚Besonderen Abend‘ für Ihre Gäste oder Freunde mit einer Autorenlesung.  Auf meiner Homepage finden Sie die Informationen dazu.

In mir brodelt ES

In mir brodelt ES. Ich habe mit ES gesprochen. Es sei nun mal so, meinte ES und außerdem sei ES das Brodeln ja vollkommen freigestellt. Brodeln käme übrigens ebenso wenig von Brot wie von Dellen. Ich würde ja auch freischreiben, meinte ES und niemand frage danach, von wem oder was ich mich befreien wolle. Ich ließ ES dann in mir alleine und dachte, brodele doch ohne mich. Wer bin ich denn, dass ich in mir mit mir brodeln lasse. / Rolf Höge

 

Frederick und sein Wunsch nach Aufschub

Wenn er mir nur etwas entgegenkommen würde, dachte Frederick. Schließlich habe er es nicht gerade leicht gehabt im Leben. Jeden Tag Kampf  im Büro, in der Familie: sich stets behaupten müssen und immer auf sich alleine gestellt.

Aber ein Blick in diesen kalten Augen und Frederick ahnte, keines seiner Argumente würde ihm helfen.

„Ich habe noch so viel vor. Ich möchte etwas für mich ganz persönlich tun. Bisher habe ich nur gearbeitet und anderen geholfen“, versuchte er es dennoch und wusste, er übertrieb ein wenig. Aber warum auch nicht? Schließlich stand hier alles für ihn auf dem Spiel. „Ich möchte durch die Felder wandern, die Seele baumeln lassen, die frische Luft durch meine Lungen strömen lassen und einfach den Tag genießen.“

Abnehmen wolle er auch, dachte Frederick noch bei sich, sagte es aber nicht laut. Wenn er das überstand, wollte er sich nicht mehr wie ein schnaufendes Walross in den zweiten Stock schleppen müssen.

„Ich würde ein ganz anderer Mensch werden, versprochen. Ich würde mit dem Fahrrad fahren, das Auto stehen lassen. Und das Rauchen würde ich aufgeben – ist ja eh zu teuer.“

Es machte ihn schier wahnsinnig, dass sein Gegenüber nicht reagierte. Keine Gefühlsregung, kein Mitleid waren aus diesem Gesicht zu erkennen.

Frederick hatte die Arbeit über alles gestellt, bis sie ihm über den Kopf gewachsen war. Die Zigaretten brachten ihn über jeden stressreichen Tag. Aber ab jetzt könne er auf Zigaretten verzichten, daran glaubte er sicher.

„Was sagen Sie?“

Das Gegenüber schwieg noch immer.

„Wissen Sie, Sie sollten mir schon ein bisschen entgegenkommen. Wir können ja das Ganze aufschieben und sehen was in der Zwischenzeit passiert, nicht wahr?“ Es war mehr ein Flehen als eine Frage.

„Nein“, sagte der Tod.

© Rolf Höge