Anderer Trainingsinhalt

Hab‘ Achtung
vor mir selbst gewonnen.

Hab‘ viel gereut
in letzter Zeit.

Hab‘ auch zu denken
nun begonnen.

Doch heut‘ –
trainier’ ich Fröhlichkeit.

(c) rh

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Brauchen wir Väterkurse

„Brauchen wir Väterkurse“, fragt Raimund auf seinem blog „Schwangerschaftserlebnis“ und meint damit wohl eine Art Geburtsvorbereitungskurs nur für Männer. Nebenbei bemerkt: ich finde es erstaunlich, ja geradezu faszinierend, wie lange und kontinuierlich sich mein Freund dem Thema Schwangerschaft widmen kann.

Doch davon vollkommen abgesehen: ich stünde Kursen grundsätzlich positiv gegenüber, wenn sie sich eben nicht ausschließlich auf die Geburtsvorbereitung oder die Schwangerschaftsbegleitung beziehen würden, sondern auch von Paaren belegt werden könnten, die sich noch in der Entscheidungsphase pro oder contra Schwangerschaft befinden. Vielleicht eine Art „Was-kommt-da-auf-euch-zu-Kurs“ oder eine Art „Erziehungskurs auf freiwilliger Basis“.

Wir benötigen eine Lizenz, um ein Auto steuern zu dürfen. Selbst einen Computer würden wir uns nicht kaufen, ohne zu wissen, wie wir dann anschließend damit umgehen. Weshalb dann nicht eine Art Elternkurs, bevor man sich der Erziehung widmet? – Na ja, vielleicht keine gelungenen Vergleiche, aber darüber nachdenken darf ich ja, zumal mir meine eigenen Kids täglich beweisen, dass ich selbst da wohl einige Kursstunden versäumt habe.

© rh

Übrigens: Kennen Sie schon meine eigene Homepage zu meiner Autorenlesung? Nein? Dann klicken Sie doch hier.

Zur Mitte finden

du solltest

zu deiner mitte finden

in deiner mitte ruhen –

wie unlebendig –

nach links fallen

nach rechts rutschen

nicht ausweichen

ausbalancieren

kraftvoll

immer wieder

dort ist die mitte

(rh)

Und zu meiner Autorenlesung geht es hier: „Meine Schreibe…“

Steh auf und geh!

Sie haben dich gerettet. Nach mehr als acht Stunden stellten sich diese schrecklichen Magenschmerzen als Herzinfarkt heraus, als Hinterwandinfarkt. Der Schmerz ist vorüber. Du spürst nicht einmal, dass da etwas war. Zwei Stents wurden gesetzt, das Blut fließt wieder. Ein Herzkranzgefäß konnte nicht geöffnet werden, muss sich schon vor langer Zeit geschlossen haben. Eine Bypass-Operation raten sie dir.

Und du fragst dich nach dem Sinn. Der Infarkt zeigte dir deutlich, du bildest keine Ausnahme, auch du bist sterblich. Und du fragst dich nach dem Sinn, spürst die Angst in dir. Nicht die Angst vor dem Tod, sondern die Angst, alles zu verlieren, die Angst, jede Erinnerung ausgelöscht zu bekommen. Und du fragst nach dem Sinn.

Ein halbes Jahr später kommt die Bypass-Operation. Diesmal ist der Schmerz nicht vorüber. Nur langsam lernst du wieder ein paar Treppen zu steigen. Sie bereiteten dich nicht ausreichend darauf vor. Wenn du einen weißen Arztkittel siehst, steigen die Tränen hoch, du kannst es nicht verhindern, sie kommen ungefragt. Und du fragst dich nach dem Sinn. Wie viele Lebensjahre rechtfertigen diesen Eingriff. Du wirst gehen müssen, irgendwann. Vielleicht morgen, vielleicht in ein paar Jahren. Man gewährte dir noch etwas Zeit.

„Es war nur ein leichter Infarkt. Man sieht ihn kaum. Damit können Sie locker noch über zwanzig Jahre leben“, sagten sie dir. Und du leidest so sehr, dass du mit dieser Zeit nichts anfangen kannst, sie aber auch nicht hergeben möchtest.

Und du fragst dich nach dem Sinn.

Und eines Morgens wachst du auf und die Sonne scheint. Sie scheint wieder, auch für dich. Und du erkennst, dass du der Zeit ihren eigenen Sinn geben musst.: „Steh auf und geh!“

© rh

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Die Depressionsinsel

Heute trage ich sie zu Grabe. Heute, am Karfreitag, beende ich ihre Daseinsberechtigung. Gestern schon, als ich mir zugestand, dass ich mir ein neues Fahrrad wert sein darf, zeichnete sich ihr Ende ab.

Jahrelang leistete sie mir gute Dienste, war immer für mich da, wenn das Leben mit seinen Wogen über mich herein brach, mir mit Verletzung oder gar dem frühen Tod drohte. Sie richtete mich scheinbar auf, wenn ich Ablehnung erfuhr. Sie hüllte mich geborgen ein und verlangte mir kein Handeln ab.

Sie nährte meine Verlustfantasie, rechtfertigte die Dunkelheit um mich herum, die verschlampte Couch, die Schokoladenflecken, meine Fettleibigkeit und das nach Abwasch schreiende Geschirr in der Küche. Sie sorgte für mein schlechtes Gewissen, das mich stets wieder zu ihr führte. Sie war schneller als jedes Selbstwertgefühl, das in mir hochstieg, machte mir einerseits meine Winzigkeit bewusst und katapultierte mich andererseits nach jeder scheinbaren Niederlage in den Größenwahn. Hier war ich Opfer, hier durfte ich sein: auf meiner Depressionsinsel.

Ich trage sie heute zu Grabe und mit ihr das Opfer mit seinen Verlustfantasien. Dankbar gebe ich ihr das letzte Geleit. Sie zeigte mir die Schatten, ließ mich überleben. Sie stirbt für mich, als Vorbereitung auf die Lebendigkeit, die durch ihren Tod nun in mir auferstehen kann.

© rh

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Der zweite Teil des Interviews mit Rolf Höge

Zufriedene Abstinenz – Interview mit Rolf Höge Teil 2
Der zweite Teil des Interviews mit Rolf Höge:

Der Weg in die zufriedene Abstinenz – bedeutet das letztendlich, für alle Situationen, in denen zuvor der Alkohol eine Rolle gespielt hat, neue Wege zu finden?

Es bedeutet zunächst einmal, eine Entscheidung zu treffen, nämlich die Entscheidung abstinent leben zu wollen. Damit ändert man die Blickrichtung von ‚ich will nicht mehr trinken’ hin zu ‚ich will zufrieden abstinent leben’

Wenn ich also diese Entscheidung getroffen habe, dann steht mir das ‚Lösungsmittel’ Alkohol in all den Problemsituationen nicht mehr zur Verfügung. Sich nach Stresssituationen abends gemütlich mit einem Glas Rotwein zu entspannen, taugt für einen Alkoholiker nicht als Entspannungsmethode. Sich mal eben etwas Mut anzutrinken, bevor man beispielsweise eine Frau zum Tanzen auffordert, ist ebenfalls nicht angesagt. Das Gefühl, sich ausgegrenzt zu fühlen, weil man auf Partys keinen Alkohol trinkt, kann man nicht einfach mal so wieder wegsaufen. Wenn die Entscheidung zur Abstinenz wirklich getroffen wurde, steht die Krücke Alkohol nicht mehr zur Verfügung. Und dann ist es tatsächlich so als würde man das Laufen neu lernen.

Aus diesem Grund halte ich auch Selbsthilfegruppen …

Weiter geht es auf der Seite von Sabine Feikert mit dem gesamten Interview (Teil 1+2)

Anderssein

Neulich erschien er in roten Schuhen. Es lag nicht in seiner Absicht, damit aufzufallen. Er zog sich nun mal rote Schuhe an. Sie wollten ihn darauf ansprechen, unterließen es aber.

Manchmal schwiegen sie eben. Manchmal rieben sie auch einfach sein Gesicht mit Schnee ein oder klatschten seinen Kopf gegen die Türe des Klassenzimmers.

Und neulich ragten diese roten Schuhe unter der Decke hervor, und sie passten farblich so gut zu der Pfütze daneben.

 © rh

 

Hier eine kurze Erläuterung, damit ich auch verstanden werde.

Ja, es geschah „neulich“. Doch eigentlich geschieht es täglich, wenn auch nicht immer mit so einem Ausgang: das Ablehnen Andersdenkender, das Bewerten von Menschen nach ihrer Herkunft oder Religion. Auch das Zuschlagen, weil man den anderen nicht versteht und das Fragen nicht gelernt hat, die Interpretation „das muss falsch sein“, weil es nicht der eigenen Weltsicht entspricht .

Die roten Schuhe im Text sind ein Symbol für das Anderssein. Man kann rote Schuhe anziehen, einfach weil man ein Recht dazu hat, rote Schuhe anzuziehen. So wie man ein Recht dazu hat, rückwärts zu laufen oder auf Händen zu gehen. So wie eine Frau beispielsweise einen Minirock anziehen darf, ohne sich unterstellen lassen zu müssen, dass sie auf Wirkung aus wäre.

Jeder Mensch hat das Recht auf Individualität und aus dem Recht auf Individualität erwächst wiederum jedem Menschen das Recht auf Anderssein. Weshalb sollte er also Aufmerksamkeit erregen wollen, nur weil er in roten Schuhen erschien?

Er erschien neulich nun mal in roten Schuhen.

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Fesselnde Angst

Vorrübergehend außer Gefecht gesetzt. Vorrübergehend, weil es ja wieder besser werden kann. Alles bleibt  außen vor, abgeschottet von der Welt, zurückgezogen in sich selbst mag er nur entfliehen. 

 

Diese verdammten Tabletten, ein ganzes Chemiewerk, was er da täglich in sich hineinstopfen  muss. Der Nutzen überwiegt die Nebenwirkungen, meint der Arzt. Wieder diese Schmerzen, den Weg bahnend für die Angst, die ihn gefangen hält. Je mehr er entfliehen will desto stärker kreisen die Gedanken um diese Angst, fokussieren sie, machen sie mächtig und groß bis sie seinen Körper kontrolliert.

 

Diese vielen Ratschläge. Nach vorne schauen, die Zukunft gestalten. Und er spürt diese Fesseln, die das Wissen am Handeln hindern und weiß nicht, wann er sich die angelegt hat. So invalid, so versehrt fühlt  er sich nach diesem Eingriff, so vollkommen ohne Einfluss,  so unvorbereitet hart konfrontiert mit seiner  Endlichkeit.

 

Aufstehen, sagt er sich, aktiv werden, nach vorne schauen und  Licht erzeugen in dem Grau, an das er sich klammert, weil Grau immer noch lebendiger ist als tot. 

 

Nichts ist mehr wie früher. Ein  Herzinfarkt und vor allem die  Bypass-Operation bringt ihm die Sorglosigkeit der Vergangenheit nicht wieder zurück. Da war jemand in seinem  Körper und damit lebt er nun, zumindest heute.

 

© rh

 

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Wer Tee trinken will, muss ihn kochen

Nach einem überstandenen Herzinfarkt, zwei Stents und einer Bypass-Operation fiel ich in ein tiefes psychisches Loch. Ich empfand es als eine Ungeheuerlichkeit, meine Wenigkeit mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert zu sehen und degradierte mich selbst zu genau dieser „Wenigkeit“ herab. Der geringste Schmerz im Brustraum löste eine lähmende Angst aus. Mein Selbstwertgefühl war vollkommen aufgebraucht und ich fühlte mich hilflos all jenen Menschen ausgeliefert, die mehr über meinen Körper Bescheid wussten als ich selbst.

 

Immer mehr griff auch die Depression nach mir. Vor herunter gelassenen Jalousien zog ich mich in die scheinbare Sicherheit meines Bettes zurück und wartete auf den nächsten Tag, in der Hoffnung, diesen zu erleben. Ich wusste, ich sollte aktiv werden, um aus der Depression herauszukommen, kannte den Weg, konnte ihn aber nicht gehen. Mir schien, als müsse ich an die Hand genommen werden, um langsam wieder an diesem Leben teilzunehmen und etwas Sicherheit zu finden.

 

Bereits nach meiner Operation fühlte ich mich körperlich und psychisch so schwach, dass ich mir fachärztliche Hilfe suchte. Auf diesem Weg fand ich langsam aus der Depression heraus. Selbstverständlich wurde mir auch bewusst, dass ich meinen Körper nicht nur durch Zigaretten ständig geschädigt hatte, sondern ihm auch durch Stress und berufliche Höchstleistungen einiges abverlangt hatte. Ich nahm weder den Stress am Arbeitsplatz noch den mit meinem persönlichen Umfeld und schon gar nicht den Stress, den ich mir selbst bereitete, ausreichend wahr .  Probleme gab es, um bewältigt zu werden, Sorgen, um sie zu ertragen, Ärger, um ihn abzuschütteln. Ich stand ständig unter Spannung, fraß regelrecht meine Zigaretten und mein Körper schickte mir, um das in einer Metapher auszudrücken, einen Herzinfarkt und setzte damit dem Treiben zunächst einmal ein Ende. Und in der anschließenden Depression konnte er sich erholen.

 

Diese Erkenntnis alleine nutzt aber nur dann etwas, wenn daraus auch eine Veränderung eingeleitet wird. Ich erinnerte mich an  meine NLP-Lehrtrainerin, Dr. Gundl Kutschera, die bei fast jeder Gelegenheit betonte: „Wer immer nur das tut, was er schon immer getan hat, bekommt auch immer nur das, was er schon immer bekommen hat.“

 

Und so beschloss ich, zukünftig mein Leben etwas umzugestalten, andere Ursachen zu setzen, um dadurch zu für mich besseren Ergebnissen zu gelangen. Über das Rauchen brauchte ich mir dabei keine Gedanken mehr zu machen: mit dem Herzinfarkt hatte ich auch aufgehört zu rauchen und meinem Körper sechzig Zigaretten pro Tag weniger zugeführt. Da ich sehr an meinem Leben hänge, hält das Nichtraucherdasein bis heute an.

 

Das Wesen einer Depression, sagte ich mir, liegt unter anderem darin, sich vor der Umwelt abzuschotten, keine Kontakte mehr zu pflegen. Jahrelange, vollkontinuierliche Schichtarbeit hatte ihren Beitrag zur Isolation wohl ebenso dazu geleistet, wie meine derzeitige, andauernde beziehungsfreie Phase. Ich musste also Aktivitäten finden, die mich zwingen, die Wohnung zu verlassen und mit Menschen in Kontakt zu kommen.

 

Nun bin ich beispielsweise was das Lernen von Fremdsprachen anbelangt ein Autodidakt: ich lerne gerne selbst  mit Audio-CDs oder am PC, was bislang dazu führte, dass ich Spanisch schon seit mehreren Jahren immer wieder von vorne zu lernen beginne, ohne dass wirklich viel verwertbares hängen bleibt. Also beschloss ich, mich in einen Kurs an der Volkshochschule einzuschreiben und nun auf diesem Weg die Sprache zu erlernen. Mein Spanisch kann dadurch nur besser werden, und ich bin gezwungen, samstags in den Unterricht zu gehen.

 

Aber ich brauchte das Rad ja nicht ganz neu zu erfinden, und eine Ärztin und sehr gute Psychotherapeutin, auf die ich während meiner Genesung glücklicherweise traf, stieß miMeine Schreibe-für Flyer2ch immer wieder mit der Nase auf meine Fähigkeiten. Ein ehemaliger Mitteilnehmer aus einem früheren NLP-Practitioner-Kurs meinte sogar: „Lass dich nicht von deinen Symptomen leiten, sondern von deinen Fähigkeiten.“ Nun, seit mehr als zwanzig Jahren beschäftige ich mich mit dem Schreiben. Ich schreibe Kurzgeschichten, Gedichte, Glossen und gelegentlich einmal einen Artikel. Früher, als es noch kein Internet gab, konnte ich ein paar meiner Geschichten auch in der Tageszeitung veröffentlichen. Als ehemaliges  Mitglied im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt fand meine Kurzprosa auch in der Anthologie „Jenseits von Oggersheim“ Platz. Auch an einigen Lesungen hatte ich damals teilgenommen.

 

So reifte in mir der Gedanke, meine Texte neu zu sortieren und mit einer Auswahl davon unter dem Motto „Meine Schreibe…“ erneut an die Öffentlichkeit zu gehen. Da ich nicht der eitle Autor bin, der horrende Summen an Druckkostenzuschussverlage zahlt, nur um sein eigenes, kaum verkaufbares Buch in der Hand zu halten, legte ich mir eine Homepage an, mit der ich auf meine Autorenlesung aufmerksam mache. Auf dieser Homepage biete ich nun meine Texte auch  zum kostenlosen download an. Zusätzlich brannte ich meine Werke als Audio-CD zum Anhören.

 

Meinen Ratgeber „Quo vadis, Alki„, den ich hauptsächlich für abstinent lebende Alkoholiker geschrieben hatte, und der in meiner Schreibtischschublade vor sich hin träumte, stellte ich als downloadbares ebook ins Internet. Dasselbe machte ich mit meinem Ratgeber „Visionen finden – Ziele setzen„, in dem ich unter anderem den Zielrahmen aus dem NLP vorstelle.

 

So verschaffte ich mir also eine neue Art von geistlicher Beweglichkeit, die mich konstruktiv fordert und mir Spass macht. Meiner körperlichen Beweglichkeit und dem sehr unangenehmen Übergewicht, das sich durch das Nichtrauchen eingestellte, trage ich durch eine veränderte Ernährungsweise und durch meine Besuche im Fitness-Studio Rechnung. Das ist das Schwerste an all dem Neuen, weil es sehr viel Geduld erfordert und ein geduldiger Mensch bin ich nun nicht gerade. Aber dafür gibt es ja die Lernfelder.

 

Nein, ich fühle mich noch lange nicht so gesund, wie ich das gerne hätte, aber der Weg dorthin stimmt. Und den gehe ich konsequent. Vielleich werde ich zukünftig auch workshops gestalten. Da ist der letzte Gedanke noch nicht gedacht. Denn ich denke, wer Tee trinken will, muss ihn kochen.  

 

© rh

 

 

Er oben – ich unten

Aus meinem Buch: Trocken. Was nun?

ER OBEN – ICH UNTEN

Unzählige Gebete richtete ich an einen Gott, der nach meinem Verständnis irgendwo dort oben im Himmel leben musste, der nur „klick“ zu machen bräuchte und – schwupp – würde sich mein ganzes Leben verändert haben.
Die Gebete hatten alle denselben Inhalt: immer bat ich den ‚lieben Gott‘ darum, mich doch bitteschön nüchtern werden zu lassen. Meistens bat ich immer genau dann um seine Hilfe, wenn ich wieder einmal von einer ausgedehnten Zechtour nach Hause gekommen und besoffen in mein Bett oder, wenn es dafür nicht mehr gereicht hatte, auf meine Couch gefallen war.

So dachte ich und so lebte ich: ein Alkoholiker, dessen Frau ihn mit der kleinen Tochter bereits verlassen hatte, weil das Leben mit ihm unerträglich geworden war. Und so schloss sich an das bereits bekannte Gebet bald ein neues: „Herr, gib mir die Liebe meiner Frau zurück und lasse sie ihren Fehler erkennen. Verzeih‘ mir, damit auch meine Frau mir verzeihen und zu mir zurückkommen kann.“

Erst viele Jahre später wurde ich trocken. Und ich verbrachte weitere Jahre der Abstinenz damit, die Wirkungslosigkeit mei-ner damaligen Gebete zu hinterfragen. Die Antwort war ver-blüffend einfach: ich hatte versucht, Verantwortung für mein Leben an irgendjemanden da oben abzugeben, ohne selbst auch nur den kleinen Finger dafür zu rühren.

Ich möchte an dieser Stelle nicht erzählen, weshalb ich zum Alkoholiker wurde. Dafür gibt es sicher Tausende von Grün-den. Weder prägte mich ein schlechtes Elternhaus noch wuchs ich in einem Alkoholiker-Milieu auf. Und doch denke ich, mindestens ein Grund mag wohl darin gelegen haben, nicht ausreichend darauf vorbereitet worden zu sein, Verantwortung für mein eigenes Leben und für mein eigenes Glück zu übernehmen.
Wie oft gebe ich heute noch Verantwortung ab! – Wie oft seh-ne ich mich nach Nähe, ohne mich zu nähern. Wie oft mache ich die äußeren Umstände, andere Menschen, mein Gehalt, meinen Chef und, und, und… dafür verantwortlich, wenn in meinem Leben mal wieder etwas schief läuft!

Aber es gab einen Tag, an dem ich zum ersten Mal die volle Verantwortung für mich selbst übernahm, an dem ich nichts mehr ersehnte als alles Bisherige hinter mir zu lassen. Der Tag, an dem ich entschied, nie wieder Alkohol zu trinken. Hätte jemand behauptet, ich müsse erst zum Mond fliegen, um tro-cken zu werden, so hätte ich mir eine Rakete gebaut. Es war mir gleichgültig geworden, wie andere über mich dachten, ob ich meinen Arbeitsplatz durch die Therapie verlieren würde, ob dies einer Niederlage gleich käme oder nicht. So kam zu dem ursprünglichen Wunsch nicht mehr betrunken zu sein, endlich der Wille, auch etwas dafür zu tun. Und dieses Tun bestand zunächst einmal darin, das Glas stehen zu lassen.

Denn der Wunsch allein bedeutet etwa so viel wie „es wäre schön.“ Es wäre schön, Millionär zu sein. Es wäre schön, tun und lassen zu können, was man will. Es wäre schön, trocken zu sein.
Wir können darüber reden, über das „Trocken sein“, können darüber philosophieren, die Umstände beklagen, uns in die eigene Tasche lügen. Es hilft nicht. Wenn wir trinken, trinken wir. Wenn wir aufhören wollen, müssen wir Verantwortung übernehmen, etwas dafür tun: aufhören!

Ich weiß heute noch nicht, ob es einen Gott gibt. Schon gar nicht, ob es den einen Gott gibt. Aber wenn es ihn gibt, dann möchte ich heute noch einmal beten:

„Lieber Gott, wenn heute, morgen oder wann auch immer, ein Alkoholiker Dich bittet, Du mögest ihm helfen, dann warte ab! Warte bis aus dem Wunsch nicht mehr zu trinken, der Entschluss gewachsen ist, etwas dafür zu tun. Dann aber hilf ihm mit Deiner ganzen Kraft. Arbeite mit ihm zusammen, lasse ihn auch die kleinsten Erfolge erkennen. Hilf ihm, die Verantwortung für sich selbst zu tragen.“

(c) Rolf Höge

Vielleicht haben Sie Interesse an einer Autorenlesung? Dann besuchen Sie doch auch meine Homepage und lernen Sie auch andere Texte von mir aus dem Buch „Berührungen“ kennen.